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Die Erde befindet sich im Aufbruch zum Mond: Bohrungen im Boden, eine Raumstation im Orbit und eine Siedlung auf der Oberfläche des Erdtrabanten sind in Planung. Sputnik hat mit dem Chef der europäischen Raumfahrtagentur (Esa) über die Rolle Europas und die internationale Zusammenarbeit auf diesem Weg gesprochen.

Europa will mit zum Mond. Zwei Absichtserklärungen haben die Chefs der europäischen und US-amerikanischen Raumfahrtagenturen bereits unterschrieben. Auch mit russischen Partnern sind Mondmissionen geplant. Im Sputnik-Interview hofft Esa-Chef (Europäische Weltraumorganisation) Jan Wörner auf eine breite internationale Zusammenarbeit im Orbit und auf der Oberfläche des Erdtrabanten und betont die Rolle der Esa dabei.

- Herr Wörner, die Esa und Nasa (Nationale Aeronautik- und Raumfahrtbehörde) haben eine Absichtserklärung zur Mondstation „Lunar Gateway“ unterschrieben. Was bedeutet diese Erklärung konkret für den europäischen Aufbruch zum Mond?

Wir haben ein großes Erkundungsprogramm mit dem Namen European Exploration Envelope Program (E3P), das haben die Mitgliedsländer der Esa 2016 gestartet und 2019 deutlich finanziert. Dieses Programm beinhaltet den niedrigen Erdorbit, also die ISS (Internationale Raumstation), es betrifft den Mond und den Mars. Deshalb sind wir auf diesem Weg weiterhin unterwegs mit der ISS mit den Partnern aus den USA, aus Russland, aus Japan, aus Kanada. Wir sind unterwegs auch zum Mond; einerseits durch die Absichtserklärung mit der Nasa zum „Lunar Gateway“ – dieser Station, von der man auf die Oberfläche des Mondes herabsteigen soll. Andererseits sind wir mit Russland an Mondmissionen beteiligt. Wir haben eine weitere Einverständnis-Erklärung in den letzten Tagen unterzeichnet mit der Nasa, um vom Mars Proben zur Erde zurückzuholen. Wir sind in diesen drei Destinationen jetzt sehr aktiv.

- Fangen wir doch mit der Mondstation im Mondorbit an. Was soll die Esa da an Technik beisteuern? Und wie ist diese aktuell schon entwickelt?

Wenn diese Mondstation existiert, dann kann man dort hinfliegen, insbesondere mit der Rakete SNS der Amerikaner. Diese Rakete hat einen wesentlichen Teil aus Europa: das europäische Servicemodul ESM, das unterhalb der Kapsel ihre Versorgung durchführt. Dann sind wir auf jeden Fall im Spiel. Aber wir wollen auch beim Aufbau dieser Station im Spiel sein. Da gibt es verschiedene Module. Eins heißt „iHab“, das ist ein Wohnmodul, in dem man dann wirklich die Lebensversorgungselemente hat. Das wollen wir gern aus Europa beisteuern.

- Sie haben vorhin die ISS erwähnt – die Station im Erdorbit. Wird der „Lunar Gateway“ auch eine Art ISS für den Mond sein?

Die ISS wird irgendwann ein Ende erreichen und wir sollten uns überlegen, was wir dann machen. Da brauchen wir zwei Dinge: Wir brauchen weiterhin Aktivitäten im niedrigen Erdorbit, weil man nur im niedrigen Erdorbit Schwerelosigkeitsversuche über eine längere Zeit schnell durchführen kann. Man kann etwas hinbringen, untersuchen und wieder zurückbringen.

Und wir brauchen internationale Aktivitäten, weil ich davon überzeugt bin, dass Raumfahrt eben auch eine geopolitische Wirkung hat: Sie bringt Länder zusammen im All, die vielleicht auf der Erde auseinanderdriften. Dafür dient insbesondere die Exploration. Insofern ist der „Gateway“, so hoffe ich, auch eine Möglichkeit der Zusammenarbeit verschiedene Länder weltweit. Und so wie ich das immer bei der ISS gesagt habe, dass die Schleusen nicht dicht gemacht werden sollen – natürlich müssen sie dicht gemacht werden wegen der Luft, aber sie sollen nicht dicht gemacht werden für andere Länder –, so hoffe ich auch, dass beim Gateway verschiedene Länder weltweit zusammenarbeiten können.

Vielleicht noch als Ergänzung: Das Gateway ist kein Ersatz für die ISS. Es ist keine permanent besetzte Station wie die ISS. Das Gateway ist ein Modul, das benutzt werden kann, um dorthin zu fliegen und von dort auf die Mondoberfläche zu gehen, oder auf ihr Roboter zu steuern oder auch von dort weiter ins All zu fliegen.

- Wenn man sich das Gateway anschaut, mit seinen geplanten vierzig Tonnen, wird das sicher einige Raketenstarts erfordern. Wann sollen die ersten Nutzlasten dahin befördert werden und wann wird die Station voraussichtlich fertig und in Betrieb sein?

Das ist wie bei der ISS – die ist immer noch nicht fertig. Die ist seit 20 Jahren im Bau und es geht immer weiter. Deshalb kann man zur endgültigen Fertigstellung heute nichts sagen. Wir hoffen, dass wir noch in diesem Jahrzehnt vom Gateway aus auch auf die Oberfläche des Monds fliegen können. Um das machen zu können, muss das Gateway in der zweiten Hälfte dieses Jahrzehnts fertiggestellt werden.

- Die Station soll in erster Linie ein Bindeglied für die Erforschung des Monds sein und Flüge zur Oberfläche erlauben, auf der mit der Zeit auch eine Mondbasis angedacht ist. Gibt es auch mit Blick auf diese Basis schon Überlegungen, welche Technologien zum Einsatz kommen sollen und welche Partner diese Technologien zur Verfügung stellen werden?

Ich habe 2008 zum ersten Mal von einem „Moon Village“, einem Monddorf, gesprochen. Nicht alle haben damals verstanden, was ich meine. Ich hatte gesagt: „Multi-partner open concept“. Das heißt: viele Partner und ein ganzes Konzept und kein einzelner Plan. Damals wurde das belächelt. Mittlerweile glauben alle: Genau das ist wichtig, dass die verschiedenen Länder, die jetzt zum Mond wollen, sinnvollerweise sich untereinander absprechen. Menschen auf der Mondoberfläche werden länger bleiben, als das bei Apollo der Fall war und wir bringen in internationaler Zusammenarbeit sowohl kommerzielle wie auch öffentliche Akteure dort zusammen. Forschung und Entwicklung sollen stärker von der öffentlichen Seite gemacht werden. Aber auf der kommerziellen Seite sollen auch bestimmte Leistungen erbracht werden – wie zum Beispiel die Energieversorgung auf der Oberfläche oder die Kommunikation auf der Erde.

Die „Moon Village“-Idee wird jetzt dadurch umgesetzt. Das Gateway ist ein wichtiges Bindeglied und wir werden auch sehen: Es wird auf dem Mond dann Mondstationen geben – nicht nur eine –, in denen Menschen für längere Zeit forschen, aber nicht für ewig dort wohnen. Es handelt sich also um keine Kolonialisierung des Mondes, das wäre vollkommener Unsinn. Dafür ist die Erde viel zu schön, als dass man auf einen Planeten oder einen Mond umsiedeln sollte. Aber längere Zeit forschen, das ist schon ein Ziel; so wie in der Antarktis, das auch auf dem Mond zu machen.

- Und was wäre die Rolle der Esa auf der Mondbasis beziehungsweise welche Technologien würde sie da einbringen?

Wir sind von unserem Selbstverständnis her eine Einrichtung, die insbesondere industrielle Aktivitäten unterstützt, damit sie loslaufen. Wir haben zum Beispiel gerade eine Vorbereitung für ein Programm, um diese Kommunikation zur Mondoberfläche und die Navigation auf der Mondoberfläche sicherzustellen. Das ist eine Zusammenarbeit von unseren Direktoraten für Exploration für Telekommunikation und für Navigation, die gemeinsam eine Mondnavigation und -telekommunikation aufbauen wollen. Das passiert in enger Zusammenarbeit mit der Industrie – wir wollen das nicht alles aus öffentlichen Mitteln finanzieren.

- Sie haben auch von Kooperationen mit Russland bei Mondmissionen gesprochen. Was für Pläne gibt es da?

Es gibt mehrere Pläne, der klarste ist „Luna27“. Hier soll mit europäischer Hilfe eine Präzisionslandung durchgeführt werden und dann auf der Mondoberfläche Bodenproben entnommen werden: wobei auch tief in die Oberfläche des Mondes hineingebohrt werden soll. PROSPECT heißt dieser Teil der Mission. Da sind wir gerade in Verhandlungen mit Russland, wie wir das am besten gemeinsam hinbekommen. Das sind ganz konkrete Schritte, die wir absprechen und das ist eine der schönen Sachen an der Esa, dass wir mit Ost und West immer wieder sehr kooperativ unterwegs sind.

- Das Gateway ist ja zum einen für die Mondforschung da; der andere Zweck ist die Vorbereitung von Reisen ins tiefe All – etwa zum Mars. Inwiefern wird man hier andere Erfahrungswerte sammeln als an Bord der ISS und wie werden auch die Raumfahrer vor der kosmischen Strahlung geschützt?

Das ist ein wichtiger Punkt: Wir sind mit dem Gateway außerhalb der sicheren Strahlungsabschirmung der Erde und das ist eine besondere Herausforderung. Da müssen wir viel lernen. Die Apollo-Astronauten hatten da viel Glück bei ihren Flügen. Wenn wir daran denken, irgendwann zum Mars zu fliegen, was sicher noch sehr viele Jahre dauern wird – über einen Zeitraum von zwei Jahren jemanden ins All zu schicken, ist eine ganz andere Hausnummer als gerade mal eine Woche zum Mond und zurück zu reisen. Das gilt sowohl für die Strahlung, aber wir können auch nicht umdrehen wie bei Apollo-13. Wenn wir Richtung Mars unterwegs sind, gehen wir davon aus, dass wir zwei Jahre fliegen. Die technischen und gesundheitlichen Anforderungen sind ganz andere. Deshalb ist es ein guter Anfang, eine Station zu haben, die weiter entfernt ist.

Das Interview mit Jan Wörner zum Nachhören:

von Valentin Raskatovneinsatz

(Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)

 

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