MOSKAU, 28. Januar 2010 (Alexander Pesljak, RIA Novosti). In Moskau finden derzeit wissenschaftliche Lesungen über die Raumfahrt statt.
Bei einer Diskussion erzählte Vitali Lopota, Chef von RKK Energija (nach Koroljow benannter Raketen- und Raumfahrtkonzern), von mehreren Vorschlägen über die Strategie zur Erforschung des Sonnensystems und die Anwendung der gewonnenen Kenntnisse und Technologien im Interesse der Menschheit, unter anderem dank atomgetriebenen Raumflugkörpern.
Der Energija-Chef berichtete über die nächsten Pläne und Projekte und bestätigte erneut: Ein neues russisches unbemanntes Raumschiff werde ab 2015 und ein bemanntes drei Jahre danach starten. "Wahrscheinlich vom neuen Weltraumbahnhof Wostotschny im Gebiet Amur aus. Falls sein Bau bis dahin nicht abgeschlossen wird, beginnen wir mit den Teststarts in Baikonur", sagte Lopota.
Das Thema "neues bemanntes Raumschiff" ist schon seit drei bis vier Jahren im Gespräch. Die Besucher der Moskauer Luftfahrtmesse „MAKS 2007" erinnern sich bestimmt an die Silhouette des beflügelten "Kliper" (Clipper), der als Ersatz für die Sojus-Raumschiffe gehandelt wird.
Vor kurzem war eine Ausschreibung um die Entwicklung eines künftigen Raumapparats angesetzt, bei der die drei Wettbewerber leer ausgingen: Die vorgestellten Projekte entsprachen nicht den von Roskosmos (Russische Raumfahrtbehörde) formulierten Kriterien. Roskosmos-Chef Anatoli Perminow kündigte daraufhin eine zweite Ausschreibung an. Im Frühjahr 2009 wurden die Umschläge mit den Angeboten des Chrunitschew-Zentrums und der RKK Energija geöffnet.
Der Konzern siegte und begann mit den ersten Entwürfen für das Raumfahrt-Projekt. Im laufenden Jahr soll das Projekt (die Regierung hat dafür 700 Millionen Rubel bereit gestellt) bestätigt werden. (1 Euro = ca. 42,6 Rubel.) Anschließend beginnen der Bau und umfangreiche Tests mit Versuchsmodellen.
Übrigens, während der zweiten Ausschreibung wurde endgültig klar, dass eine europäisch-russische Kooperation bei der Entwicklung eines perspektivischen Raumtransportsystems nicht zustande kommt. Vor allem die Widersprüche bei der Bestimmung der Funktionen eines neuen Raumtransporters ließen das Vorhaben platzen. Die Seiten wissen also bislang nicht so recht, wohin der Frachter fliegen soll: auf eine Umlaufbahn, zu einer Station beziehungsweise zu mehreren Stationen, zum Mond und weiter, oder sollen die Missionen zusammengelegt werden?
Wie Nikolai Brjuchanow, Chefkonstrukteur für bemannte Raumapparate von RKK Energija, anmerkte, wird das neue Transportsystem "als Schlüsselkomponente einer russischen Weltrauminfrastruktur entwickelt, die die Aufgaben lösen wird, die die nationale Sicherheit, die technologische Unabhängigkeit und den unbehinderten Zugang Russlands zum Weltraum gewährleisten".
Als Basismodell soll ein Raumschiff dienen, das für die Bedienung von Raumstationen und für die Rettung der Raumfahrer bestimmt ist. Seine Modifikationen sollen zum Mond fliegen, Satelliten instand setzen und Experimente durchführen. Sein autonomer Flug ist für 30 Tage berechnet. Die sechsköpfige Besatzung kann die Erde umkreisen oder sich in einer Raumstation aufhalten, vier Raumfahrer können sich in eine Umlaufbahn um den Mond begeben.
Das Raumschiff soll nicht nur besonders sicher und zuverlässig sein, sondern auch die Ausführung unterschiedlicher Aufgaben erleichtern. Am besten eignen sich dafür die Modulbauweise und der hohe Automatisierungsgrad. Zugleich soll der Raumapparat sich wirtschaftlich rechnen, sprich mehrfach verwendbar sein (bis zu zehnmal binnen 15 Jahren).
Ein weiteres Kriterium für das neue Raumschiff soll die große zurückkehrende Nutzlast (bis zu einer halben Tonne, im Unterschied zu den 50 Kilogramm auf Sojus-TMA). Dazu gehören auch zulässige (drei- bis fünffache) Überlastungen für nicht sehr gut trainierte Personen. Für die Landung ist nicht ein Fallschirm-, sondern ein reaktives System vorgezogen worden.
Die Landekapsel soll die Form eines Kegels bekommen, der zentrale Teil und die Triebwerks- beziehungsweise Gerätezelle haben flügelartige Solarbatterien. Kommunikationsverbindung soll zu jedem Zeitpunkt möglich sein. Nach Lopotas Meinung ist das geplante russische Raumschiff leichter und manövrierfähiger als seine Analoga in den USA, Japan und Europa.
Ist für den nahe Moskau ansässigen Konzern, der wichtigste Akteur in der bemannten Raumfahrt, die Last einer grundsätzlich neuen Entwicklung zumutbar? Fest steht zumindest, dass das notwendig ist. Es geht nicht, ewig die Sojus-Schiffe zu modernisieren, schon wegen ihrer für die zunehmenden Flüge zur ISS ungenügenden Kapazitäten.
Igor Marinin, Chefredakteur der Zeitschrift "Nowosti kosmonawtiki" (Neues aus der Weltraumfahrt), ist überzeugt: Eine Alternative gibt es sowieso nicht. Ein Projekt dagegen liege vor. "Es gilt, es rascher zu bestätigen und mit der kompletten Finanzierung zu beginnen", sagt der Experte. "Es ist nun einmal unmöglich, ewig den Oldtimer Saporoschez zu steuern und ihn zu verbessern, Not tut ein anderes Niveau an Komfort und technischer Ausstattung. Energija hat diesem Projekt viele grundsätzlich neue Dinge zugrunde gelegt, die manche Leute abschrecken mögen: Es muss ja viel Neues durchgearbeitet werden."
Am Träger für das neue Raumschiff wird in Samara (Wolgagebiet) gearbeitet. Wie Sergej Tkatschenko, Vize-Generalkonstrukteur des staatlichen Zentrums ZSKB-Progress, sagt, hat die künftige Rakete vorläufig den Namen Rus-1 erhalten. "Das ist ein grundsätzlich neuer Apparat, unterschiedlich von den Sojus-Raumschiffen und ihren Modifikationen", bemerkte er in einem Interview für RIA Novosti. "Die Rakete planen wir für den Weltraumbahnhof Wostotschny."
Doch die Hauptlast liegt bei Energija. Indes befindet sich der Raketenbauer in einer nicht gerade einfachen Situation. Die Arbeiten am Projekt "Sea Launch" haben sich verlangsamt, die kommerziellen Starts mit einer "Zenit"-Rakete sollen im Rahmen des Projekts "Earth Launch" nach Baikonur verlegt werden. Zudem ist der Vertrag von Roskosmos mit der NASA bis 2012/2013 verlängert worden.
Er betrifft den Transport von Raumfahrern zur ISS und ihre Rückkehr mit Sojus-Raumschiffen. Deshalb werden jedes Jahr nicht zwei, sondern vier bemannte Sojus gebaut und gestartet werden, auch die Zahl der "Progress"-Transporter soll steigen. Die Auslastung des Unternehmens wird also stark zunehmen.
Hinzu kommt jetzt noch das Zukunftsraumschiff als "Wachablösung". Der Forscher Juri Birjukow, der lange Jahre bei Energija gearbeitet hat, ist der Ansicht, dass vorhandene technologische Basis und die Vorarbeiten der Konstrukteure für den fallen gelassenen "Kliper" mit der Einhaltung der Termine rechnen lassen.
Ein weiterer Branchenkenner, Wladimir Chodakow, ist voller Zweifel: "Es gibt keine Projekt-Abteilungen mehr, die einst vollzählig und für ihr Personal bekannt waren. Jetzt wird allgemein geredet, während eine moderne materielle Basis fehlt und die experimentelle Basis zerstört wurde. Auch die neue Kooperation wird wohl kaum termingemäß zustande kommen."
Michail Marow, korrespondierendes Mitglied der Russischen Akademie der Wissenschaften, ist skeptisch, weil er die Dinge umfassender betrachtet: "Seit bereits 25 Jahren fliegen wir nicht zu Planeten und zum Mond, haben keine Errungenschaften in der Astrophysik, es ist kein einziger Forschungssatellit gestartet worden. Gewiss, in der Zahl der Starts insgesamt sind wir weltweit führend, doch kein einziger davon verfolgte wissenschaftliche Ziele.
Das ist ein großer Unterschied zu den kolossalen erdnahen und interplanetaren Leistungen der USA, Europas und sogar Indiens, das sich ihnen nähert. Früher im Weltraum führend, stiegen wir in die dritte Liga ab. Deshalb braucht man sich nicht über die Abnahme des Patriotismus zu wundern oder über sein Abgleiten von der hohen Wissenschaft in ... - Ausgelassenes können Sie selbst einfügen."
Die Rolle des Staates für den Raketen- und Raumfahrtbereich darf nicht periodisch oder selektiv sein, sonst bleibt von der Raumfahrtmacht nichts übrig, außer der Rolle eines Chauffeurs. Es ist unmöglich, in dem Bereich alle zufrieden zu stellen. Zudem müssen die Prioritäten der Programme für bemannte Raumflüge mit der Lösung irdischer Aufgaben verbunden sein.
Was das neue bemannte Raumschiff betrifft, so gibt dabei außerordentlich gewichtige Gründe, das Projekt hinauszuzögern. Den wichtigsten davon erwähnte Lopota selbst unter Berufung auf die Regierung: Zwei milliardenschwere Projekte - die Olympia-Objekte in Sotschi und ein neuer Weltraumbahnhof - übersteigen die Möglichkeiten des Finanzministeriums (selbst wenn man von den Megabauarbeiten auf der Insel Russki in Wladiwostok mal absieht).
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.