MOSKAU, 26. November (Juri Saizew für RIA Novosti). Neben den vielen zu lösenden technischen und medizinisch-biologischen Problemen einer Marsmission heißt das wichtigste: Wozu?
Wozu muss eine bemannte Expedition zum Mars geschickt werden, warum müssen die Raumfahrer auf seiner Oberfläche landen? Werden sich der gewaltige Ressourcenaufwand und natürlich ein gewisses Risiko lohnen, mit dem trotz aller Vorkehrungen die Raumfahrten immer verbunden sind? Eine eindeutige Antwort auf diese Fragen gibt es vorläufig wohl nicht.
Akademiemitglied Juri Semjonow, Ex-Generalkonstrukteur der Kosmischen Raketenkorporation (RKK) "Energija", findet, dass die Arbeit am Projekt einer Marsexpedition für Russland außerordentlich wichtig ist: "Es ist eine Besonderheit der russischen Raumfahrtindustrie, dass für ihre Aufrechterhaltung solche Projekte notwendig sind. Im Bereich der bemannten Rahmfahrt arbeiten heute über 200 Unternehmen mit vielen Tausenden qualifizierter Fachleute. Die Teilnahme dieser Unternehmen am Marsprojekt wird es ermöglichen, in vieler Hinsicht Sozialprobleme in der Industrie zu lösen. Das Projekt wird die Entwicklung der fortgeschrittenen russischen Technologie stimulieren. Vor allem aber: Die Erhaltung der Positionen auf dem Weltmarkt der fortgeschrittenen Technologien ist eine der Prioritäten von Russlands Wirtschaft."
Das ist eine sozusagen pragmatisch-soziale Motivierung des Fluges des Menschen zum Mars. Russland braucht wirklich wissenschaftliche Großprogramme. Sonst wird sich der Prozess fortsetzen, bei dem die wertvollsten und qualifiziertesten Fachleute das Land verlassen, das für sie keine Verwendung findet. Die Frage besteht in etwas Anderem: Sind Raumfahrer für die Marsforschung wirklich so notwendig?
Seinerzeit führten die Amerikaner bemannte Flüge zum Mond ("Apollo"-Mission) durch. Aber damals wie heute ist allen klar: Bei diesen Flügen ging es ihnen nicht um die Wissenschaft, sondern um den mächtigen politischen Effekt. Sie kosteten die Amerikaner 125 Milliarden Dollar, das ist beinahe zehnmal soviel wie die heutige alljährliche Finanzierung des amerikanischen Raumfahrtprogramms.
Professor Konstantin Feoktistow, Raumschiffkonstrukteur und Kosmonaut, sieht im amerikanischen "Apollo"-Programm nicht nur Positives ("großartige ingenieurtechnische Arbeit"), sondern auch ein großes Minus. Schließlich haben sowjetische Fachleute die gleichen wissenschaftlichen Aufgaben mittels Automaten unvergleichlich billiger gelöst: Bodenproben des Mondes wurden ohne Lebensrisiko für Raumfahrer auf die Erde gebracht.
Viele Experten kritisieren auch das Projekt der Internationalen Raumstation ISS, sie nennen es "eine riesige Fehlrechnung in Höhe von 100 Milliarden Dollar". Wenn schon bemannte Apparate in den Weltraum geschickt werden müssten, meinen sie, dann nur solche, die auf die Lösung nicht allgemeiner, sondern konkreter wissenschaftlicher und angewandter Aufgaben spezialisiert seien.
Nach Schätzungen amerikanischer Fachleute wird eine bemannte Marsexpedition rund 500 Milliarden Dollar kosten. Nach russischen Schätzungen kann das Projekt einer einheimischen bemannten Marsexpedition binnen 12 Jahren für 14 Milliarden Dollar realisiert werden. Soweit die Meinung jener, die für den Flug sind. Eine Größe, die ungefähr mit dem offenen (nach Jahren aufgeschlüsselten) Etat des gesamten Raumfahrtzweiges des Landes vergleichbar ist. Das ist nicht wenig. Aber der Staat wird die Ausgaben für die Tätigkeit im Raum faktisch verdoppeln müssen. Denn ohne vorherige sorgfältige Forschungen vermittels automatischer Apparate kann von einem bemannten Marsflug keine Rede sein. Akademiemitglied Nikolai Anfimow zum Beispiel, Generaldirektor des Zentralen Forschungsinstituts des Maschinenbaus, das zur Roskosmos-Struktur gehört, vertritt die Auffassung, dass die Ausgaben für das Projekt einer bemannten Marsexpedition über 100 Milliarden Dollar betragen werden.
Vorläufig enthält Russlands Föderales Raumfahrtprogramm (2006 - 2015) nur ein einziges Marsprojekt, "Phobos-Grunt", und seine Hauptaufgabe besteht darin, Bodenproben nur des Marssatelliten Phobos zur Erde zu bringen. Für die Wissenschaft ist das natürlich sehr wichtig, da die Meinung besteht, der Phobos setze sich aus dem Urstoff unseres Sonnensystems zusammen. Aber noch vor Beginn einer bemannten Mission müssen auf der Marsoberfläche mehrere große Marsautos gelandet werden, die als Labors ausgestattet sind. Sie werden verschiedene Gebiete des Planeten erforschen und auf Abschnitte hinweisen, die sich für die Landung von Raumfahrern am besten eignen.
Die Hauptaufgabe der Planetenforschungen ist die Schaffung einer wissenschaftlichen Theorie zur Entstehung und Evolution von Körpern des Sonnensystems (Planeten, ihre Satelliten, Kometen und Asteroiden). Besonders hervorzuheben ist hier das Problem, das mit dem Aufbau einer Theorie über die Bildung und Evolution der Erde zusammenhängt, einer Theorie, die auch eine Prognose ihrer weiteren Entwicklung zu liefern vermag. Das lässt sich nur im Rahmen einer komparativen Planetologie erreichen. Hierbei besteht im Bereich der Erforschung des Sonnensystems keine wissenschaftliche Aufgabe, die nicht mit Hilfe von automatischen Raumflugapparaten gelöst werden könnte - und die sind billiger als bemannte Schiffe.
Die meisten wissenschaftlichen Leistungen im kosmischen Bereich hängen nicht mit bemannten Raumfahrten, sondern eben mit "Automaten" zusammen, behauptet Professor Lew Seljonyj, Direktor des Instituts für Raumforschungen an der Russischen Akademie der Wissenschaften. Dennoch werde der Mensch, meint er, unbedingt auf dem Mars landen, und mag das vom rationellen Standpunkt aus auch völlig sinnlos sein. Die Empfindungen eines Menschen, der einen anderen Planeten betreten hat, sind nicht einfach teuer, sie sind unschätzbar. Außerdem gibt es in den Programmen der Planeten-, vor allem der Marsforschungen, Aufgaben von futurologischer Art.
Planeten, darunter auch die Erde, wurden mehr als nur einmal von kosmischen Katastrophen heimgesucht. Auch künftig sind sie nicht ausgeschlossen, wobei es solche sein könnten, die im Endeffekt zum Untergang der Menschheit führen. Deshalb wäre es für die Erdbewohner ganz gut, einen Planeten auf Vorrat zu haben. Am aussichtsreichsten in dieser Hinsicht ist der Mars. Wenn dort in der Vergangenheit eine dichtere Atmosphäre und ein warmes Klima bestanden haben, wird es vielleicht, und sei es in sehr entfernter Zukunft, gelingen, auf ihm diesen Zustand wiederherzustellen und den Mars in einen bewohnbaren Planeten umzuwandeln. Schon das allein kann die höchste Motivierung für bemannte Marsexpeditionen sein.
Und natürlich ist es sehr wichtig, interplanetare bemannte Missionen in gemeinsamen Anstrengungen vieler Länder vorzubereiten und zu verwirklichen. Es wäre sinnlos, Nikita Chruschtschows Fehler zu wiederholen, der seinerzeit den Vorschlag von Präsident Kennedy ablehnte, beim bemannten Mondflugprogramm die Anstrengungen der Sowjetunion und der USA zu vereinigen.
Zum Verfasser: Juri Saizew ist wirklicher akademischer Berater an der Akademie der Ingenieurwissenschaften der Russischen Föderation.
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.