Die Russische Föderale Raumfahrtagentur und die kosmische Raketenkorporation Energija haben verschiedene Vorstellungen über die Weltraumerschließung.
MOSKAU, 21. April (Andrej Kisljakow, RIA Novosti). Das laufende Jahr in Russland kann man ohne Übertreibung als Kosmos-Jahr bezeichnen: 45 Jahre erster Weltraumflug des Menschen und 60 Jahre russische kosmische Raketenindustrie. Außerdem ist Russland bei Satellitenstarts auf Umlaufbahnen souverän führend. Schließlich der Beginn der Umsetzung des umfassendsten Weltraumprogramms in letzter Zeit, das für zehn Jahre angelegt ist und alle Richtungen der Raumfahrt - sowohl bemannte Flüge als auch automatische kosmische Flugkörper - beinhaltet.
Zugleich lassen polare Äußerungen der Führung der Russischen Föderalen Raumfahrtagentur (Roskosmos) und der kosmischen Raketenkorporation Energija (RKK), des Leitunternehmens der russischen Raumfahrt, fragen, was Russland im All beabsichtigt.
Es lohnt wohl kaum, ernsthaft über das Thema zu diskutieren, ob der Mensch zum Mond und anderen Planeten fliegen sollte oder nicht. Im gegebenen Fall hilft Pragmatismus nicht. Das Streben nach Erkenntnis ist grenzenlos und ewig.
"Aber Russland hat kein Sonderprogramm zur Mondforschung und -nutzung", erklärte unerwartet Roskosmos-Chef Anatoli Perminow am 11. April, dem Vorabend des Internationalen Tages der Luft- und Raumfahrt. "Denn wir haben diesen Weg schon vor 30 Jahren zurückgelegt, wo viele Starts von kosmischen Flugkörpern, darunter auch mit der Landung auf dem Mond, unternommen worden sind." Perminow ist der Auffassung, dass es unzweckmäßig sei, diesen Weg zu wiederholen. Aber Russland ist bereit, den chinesischen Partnern zu helfen. Peking plant, voraussichtlich 2017 seine Taikonauten zum Mond zu schicken. "Außerdem hat Roskosmos von der NASA (US-Raumfahrtbehörde) schon eine Einladung bekommen, an der Umsetzung amerikanischer Pläne teilzunehmen", fügte Anatoli Perminow hinzu.
Interessante Gedanken. Aber...
Erstens. Was vor 30 Jahren getan wurde, ist ein Bruchteil davon, was wir heute über den Mond wissen möchten. Zweitens. Wie ambitiös und ergebnisreich das chinesische Programm auch sein mag, die Leistungen dieses Landes auf dem Gebiet der bemannten Flüge sind vom Stand der UdSSR vor 30 Jahren noch weit entfernt. Deshalb ist die heutige vollwertige Teilnahme Russlands am chinesischen Mondprogramm ein unverkennbarer Schritt zurück.
Was die USA betrifft, so fehlt vorläufig ein klarer Plan für interplanetare Flüge. Außerdem gab die NASA-Führung unlängst zu, dass es heute auf die Frage, warum zum Mond geflogen werden sollte, keine befriedigende Antwort gibt.
Somit ist die Internationale Raumstation (ISS), jedenfalls auf lange Sicht, der einzige "Angriffspunkt" der Bemühungen unserer Kosmonauten.
Energija hat jedoch ganz andere Pläne. Mitte April stellte die Führung der Korporation eine Konzeption zum Programm der Entwicklung der bemannten Raumfahrt in Russland in den nächsten 25 Jahren vor.
In dem Dokument ist vorgesehen, dass die erste Etappe des bemannten Mondprogramms unter Einsatz der Raumschiffe Sojus, der Trägerraketen Sojus-FG und Proton sowie der Beschleunigungsblöcke des Typs DM verwirklicht wird. "Das russische Segment der Internationalen Raumstation soll dabei als Montageplatz für einen Interorbitalkomplex vor seinem Mondflug genutzt werden. Dieses Herangehen wird es schon in der nächsten Zeit ermöglichen, die Landung der ersten Expeditionen auf dem Mond zu vorzunehmen", wurde bei der RRK Energija unterstrichen.
In der zweiten Etappe des Mondprogramms soll ein ständiges wieder verwendbares Mondtransportsystem entwickelt werden. Diesem System werden bemannte Raumschiffe auf der Basis der künftigen Raumfähre Clipper und Interorbitalschlepper mit Flüssigkeitsstrahltriebwerken für die Organisation der Flüge von bemannten Raumschiffen zwischen einer erdnahen und einer mondnahen Orbitalstation angehören. Es ist geplant, für den Transport von großen Gütern Schlepper mit Elektrostrahltriebwerken und großflächigen Sonnenbatterien einzusetzen. In dieser Etappe soll auch eine ständige Mondorbitalstation mit einem wieder verwendbaren Start- und Landemondmodul gebaut werden.
In der dritten Etappe soll auf dem Mond ein ständiger Stützpunkt eingerichtet werden, von dem die industrielle Erschließung des Erdsatelliten beginnen wird.
Mit dem Mondprogramm ist auch das Marsprogramm eng verbunden.
"Bei der Entwicklung des Marskomplexes nutzen wir zum Teil im Laufe von Jahrzehnten ausgearbeitete Technologien. Unter anderem Elektrostrahltriebwerke, die bereits auf Nachrichtensatelliten installiert werden. Die großen Sonnenbatterien wurden auf dem Orbitalkomplex Mir vervollkommnet", sagte Energija-Leiter Nikolai Sewastjanow.
Der neue Marskomplex mit einem großen Vorrat an Xenon-Treibstoff wird bemannte Expeditionen zum Mars bringen können, unterstrich der Energija-Chef.
Sewastjanow hob jedoch hervor, dass es notwendig sei, auch neue Elemente zu entwickeln: ein Start- und Landemodul für die Marsoberfläche. Er teilte mit, dass das Programm zur Marserschließung in drei Etappen umgesetzt werde: Erprobung des Komplexes bei einem Mondflug, ein bemannter Flug zum Mars, aber ohne Landung der Besatzung auf seiner Oberfläche, dann die Landung von Menschen auf dem Mars. Die Elemente des Komplexes sollen bis 2010 von Trägerraketen Sojus-FG und Proton und danach von modernisierten Trägerraketen Sojus-2 und neuen Trägerraketen Angara auf Umlaufbahnen gebracht werden.
Den Bau des Orbitalkomplexes werden bis zum Jahr 2015 die bemannten Raumschiffe Sojus und die Raumtransporter Progress bedienen. Ab 2015 soll das Clipper-System in Betrieb genommen werden.
Die erste Marsexpedition plant die RKK Energija in den 2020er - 2030er Jahren.
Wenn dieses Programm bei Roskosmos Verständnis findet, erübrigt sich die Frage nach dem Platz Russlands im "großen Kosmos".