Der sowjetische Raketenkonstrukteur Sergej Koroljow wurde geboren, als die ersten Flugzeuge in der Welt abhoben, und zwar am 12. Januar 1907. Der legendäre Wissenschaftler schickte die Menschen außerhalb der irdischen Atmosphäre und eröffnete dadurch für die Menschheit eine neue Ära der Raumfahrt.
Schleifenflug mit Segelflugzeug
RT erinnert an den großen Raketenkonstrukteur, der den Weg vom Segelflugzeug bis zum bemannten Weltraumschiff ebnete.
Zum ersten Hobby Sergej Koroljows, das sein ganzes Leben mit der Luftfahrt verband, wurde ein Gerät namens Segelflugzeug. Das erste solche Gerät wurde im Jahr 1856 in Frankreich gebaut. Im Sommer 1923 kam der damals 16-jährige Koroljow, der schon damals in die Luftfahrt verliebt war, auf die Idee, ein solches Gerät mit eigenen Händen zu bauen. Sein letztes Schuljahr wurde von diesem kühnen Projekt geprägt. Gemeinsam mit Leitern von mehreren Flugmodellbau-Sektionen entwickelte er einen Abriss eines solchen Geräts, das jedoch nie gebaut wurde. Koroljow selbst ging an eine polytechnische Hochschule in Kiew, wo er zwei Jahre lang von der Teilnahme an einem in der ganzen Sowjetunion ausgeschriebenen Wettbewerb der Segelflugzeugbauer auf der Krim träumte. Später, schon an der Moskauer Technischen Universität „Nikolai Bauman“, konnte Koroljow endlich seine ersten Flugapparate bauen. An dieser Universität wurden auch die besten Flüge seiner Segelflugzeuge vorbereitet. Am Ende des Studiums bekam er das entsprechende Diplom.
Koroljows Arbeit als Segelflugzeugkonstrukteur wurde mit dem Modell SK-3 „Roter Stern“ gekrönt. Das war nicht nur eines von Hunderten ähnlichen Geräten, sondern ein Modell, das in der Lage war, seinen kühnsten Traum zu verwirklichen, und zwar Loopings zu machen.
„Das ist schlicht unmöglich“, bekam Koroljow von seinen Freunden zu hören, wollte aber seine fantastische Idee mit entsprechenden Kalkulationen bestätigen bzw. widerlegen. Anhand der Zahlen entschloss er sich, seinen Plan doch ins Leben umzusetzen und sein Modell bei dem nächsten allsowjetischen Wettbewerb der Flugmodellbauer zu präsentieren. Um es herzustellen, hatte er jedoch nur 47 Tage zur Verfügung. Koroljow fuhr mit dem Motorrad in der ganzen Stadt herum, um die nötigen Baumaterialien zu sammeln. An seiner Arbeit beteiligten sich auch andere Menschen: Einige von ihnen blieben für eine längere Zeit seine Gleichgesinnten, einige andere verließen ihn schnell, aber egal wie: Die Herstellung des Flugmodells ging weiter.
Der künftige Chefkonstrukteur fand auch die Person, die bereit war, seinen fantastischen Plan zu erfüllen: Der Pilot Wassili Stepantschonok wollte einen Looping mit dem Segelflugzeug machen. Die Arbeit wurde rechtzeitig beendet – Koroljow konnte sogar die Maschine selbst testen und das Steuerruder einstellen. Unmittelbar vor dem Wettbewerb erkrankte er aber an Bauchtyphus und konnte seinen Triumph nicht mit eigenen Augen sehen. Und da gab es wirklich etwas zu sehen: Stepantschonok machte mit seinem motorlosen Flugzeug gleich drei Loopings. Für seinen Erfolg wurde Koroljow von Sergej Iljuschin, dem Gründer des gleichnamigen Konstruktionsbüros, persönlich gelobt.
Erfindungen hinter Gittern
Einen großen Eindruck machten auf Sergej Koroljow die Werke von Konstantin Ziolkowski. Danach interessierte er sich vor allem für Fluggeräte mit reaktiven Motoren, die den Menschen in den Weltraum befördern könnten. Das Wort „Kosmonautik“ kannten damals nur wenige Enthusiasten der Luftfahrt. Dieser Bereich bekam keine offizielle Unterstützung: Regierungen verschiedener Länder hatten einfach keine Vorstellung davon, wozu Weltraumraketen nötig sein könnten.
Weltraumreisen, die in fantastischen Romanen beschrieben wurden, waren damals kaum vorstellbar. In der Luftfahrt und im Bodenverkehr wurde die Verwendung von Raketentriebwerken nach den ersten Tests eingestellt. Das war auch kein Wunder: Damals kamen die Menschen selbst mit Propellermotoren nicht ganz zurecht, und der Übergang zur nächsten Phase war für sie offenbar zu schnell.
Aber Interesse für den Raketenbau hatte man auch schon vor Koroljow: Erfinder auf diesem halbfantastischen Gebiet gab es viele, und sie hielten ständig diverse Vorträge, organisierten Ausstellungen und veröffentlichten Bücher zu diesem Thema. Koroljow interessierte sich dafür in den frühen 1930er-Jahren: Als gründlicher und konsequenter Mensch konnte er einfach nicht den Segelflugzeugbau über Nacht aufgeben und beschäftigte sich erst mit Raketen, nachdem er verstanden hatte, dass er sich weiterentwickeln musste.
Allerdings war das kein heftiger Übergang: Zunächst ging es Koroljow nur darum, Segelflugzeuge mit reaktiven Motoren auszustatten. Aber die Kosmonautik war für ihn eng mit der Luftfahrt verbunden: Raumschiffe stellte er sich als etwas Flugzeugartiges vor. Aber als erste entstanden ballistische Raketen der für die heutige Zeit typischen Form. De facto wurden sie von einer kleinen Gruppe von Enthusiasten mit Koroljow an der Spitze entwickelt, die in einem Kellergeschoss arbeiteten und dafür keine Entlohnung bekamen. Das war die so genannte Gruppe zur Erforschung der reaktiven Bewegung (russische Abkürzung: GIRD). Doch nach erfolgreichen Tests im Jahr 1933 beschloss die sowjetische Regierung, dass der Raketenbau eine aussichtsreiche Richtung ist, und die GIRD wurde zu einer offiziellen Organisation unter dem Namen Reaktives Forschungsinstitut. Koroljow übernahm dabei einen leitenden Posten.
Das Forschungsinstitut beschäftigte sich mit der Entwicklung von ballistischen Raketen und Marschflugkörpern sowie mit der Vervollkommnung von Flüssigkeitsraketentriebwerken. Seine Erfolge sind sehr beeindruckend: 1935 begann die Entwicklung von Marschflugkörpern; 1938 wurden Projekte zur Entwicklung von Raketen großer Reichweite umgesetzt; 1939 fanden erste Flüge von Raketen des Modells 212 statt, das im Unterschied zu den früheren lenkbar war. In dieser Zeit wurde Koroljow ein Opfer von politischen Intrigen und musste sechs qualvolle Jahre im Gefängnis verbringen. Im Sommer 1938 wurde er verhaftet, mehrmals verhört und beinahe zur Todesstrafe verurteilt, 1944 aber auf persönliche Verfügung Josef Stalins freigelassen. Aber selbst in der Haft arbeitete er an Raketen: Die Sowjetunion, die sich mitten im Krieg gegen Hitler-Deutschland befand, brauchte dringend neue Technik. Koroljow arbeitete an der Verbesserung der Interkontinentalrakete R-7, die 1956 fertig war – kurz vor seinem größten Triumph.
Kleine Kugel der Weltraum-Überlegenheit
Die R-7 hatte neben ihren wichtigsten Verpflichtungen in Sachen Kampfaufgaben auch eine weitere ehrenvolle Mission – dem ersten künstlichen Satelliten der Erde dabei helfen, den Orbit zu erreichen. Laut dem Plan Koroljows und seiner Kollegen sollte dieses Gerät möglichst klein und einfach sein – zum Teil mit dem Ziel, um die Zeit für den Zusammenbau zu verkürzen und die Amerikaner zu überholen. Die ohnehin nicht einfache Aufgabe wurde durch den Konflikt mit der Akademie der Wissenschaften erschwert – die dortigen Wissenschaftler, die für den Satelliten formell zuständig waren, wollten in den Weltraum ein ganzes Labor schicken, doch mit solch einem komplizierten Labor hätte man kaum mit Spitzenposition rechnen können. Die Regierung war jedoch an einer schnellen Umsetzung des Projekts interessiert, weshalb die Vorbereitung des Satelliten Koroljows mit der Codebezeichnung PS-1 im vollen Gange war.
Koroljow torpedierte alle Fristen – der Satellit sollte eigentlich schon gestartet werden, doch seine R-7-Rakete konnte noch nicht fliegen. Darüber hinaus versuchte er immer wieder, die Konstruktion des Satelliten zu ändern, der sich seit langem in der Phase des Zusammenbaus befand. Die kleine Kugel, die die Herrschaft der Sowjetunion im Weltraum erklären sollte, schien ihm zu unseriös zu sein. Erst am 4. Oktober 1957 um 22.28 Uhr Moskauer Zeit konnte der Konstrukteur aufatmen, als der in den Orbit gestartete Satellit sein erstes Signal auf die Erde schickte.
Es begann die Weltraum-Ära, doch die Menschheit ahnte noch nicht, welche Erschütterung für sie der damals wegen Geheimhaltung unbekannte Konstrukteur Sergej Koroljow vorbereitete. Nur einen Monat nach dem Start des ersten Satelliten wurde der zweite Satellit ins All geschickt. Die Hündin Laika flog am 3. November 1957 über die Grenzen der Atmosphäre. Sie verbrachte eine ganze Woche im Weltraum.
Fotos von der Rückseite des Mondes
Auf der ersten Vor-Gagarin-Etappe fand Koroljow Unterstützung seitens seines jüngsten Konkurrenten, Akademiemitglied Mstislaw Keldysch. Er war ein Romantiker, ein Forscher, der von der Idee inspiriert war, die für die Erdbewohner unbekannte Seite des Mondes anzutasten. Chruschtschow, der die Weltraum-Überlegenheit über die Amerikaner anstrebte, unterstützte diese Idee umfassend.
Der Konstrukteur gab seinem Team zwei Jahre für die Arbeit. Es gab viele Probleme – Überwindung der Erdanziehung, Berücksichtigung der gegenseitigen Lage der Himmelskörper, Unterstützung der Verbindung mit der Erde. Allerdings ereignete sich der erste Versuch früher als geplant. Der Satellit Luna-1 startete zu seinem missglückten Flug Anfang 1959. Die sowjetische Regierung konnte nicht der ganzen Welt über das Scheitern erzählen, weshalb die Zeitungen berichteten, dass das Ziel des Raketenstarts die Überwindung der zweiten Weltraumgeschwindigkeit war – mit anderen Worten: der Test war laut der offiziellen Version erfolgreich verlaufen. Luna-1, der das Ziel fehlte, wurde zu einem winzigen künstlichen Satelliten der Sonne. Seine Nachfolgerin, Luna-2, erfüllte seine Aufgabe und brachte das Wappen der Sowjetunion zum natürlichen Satelliten der Erde. Doch beim Erreichen des Himmelskörpers stürzte er mit enormer Geschwindigkeit auf dem Mond ab und verwandelte sich in Staub. Die Serie der epochalen Flüge wurde mit dem Satelliten Luna-3 abgeschlossen, der jedoch die Rückseite des Mondes fotografierte. Die verschwommene Aufnahme wurde zum Foto des Jahrhunderts. Das war am 27. Oktober 1959. Bis zum Flug Gagarins blieben weniger als zwei Jahre.
Wie eine Legende entstand
Damals konnte niemand glauben, dass der Mensch sich bald außerhalb der Erdatmosphäre aufhalten könnte. Koroljow hatte nicht vor, einen auf eine Erdumlaufbahn gestarteten Menschen dort bleiben zu lassen und arbeitete am Raumschiff Wostok-1, das auf die Erde zurückkehren sollte. In dieser Zeit bereiteten sich 20 Flieger, die nicht ganz verstanden, was sie erwartet, darauf vor, der weltweit erste Weltraumflieger zu werden.
Der allgemein dritte und erste erfolgreiche Versuch eines solchen Starts ereignete sich im August 1960. Wostok mit Tieren an Bord (darunter die Hunde Belka und Strelka) absolvierte einige Runden um die Erde und kehrte zurück, wobei alle Passagiere am Leben blieben. Doch auf die erfolgreichen Flüge folgten zwei Misserfolge. Mit einer solchen Statistik hätte man keinen Menschen in den Weltraum fliegen lassen. Die Arbeit wurde fortgesetzt.
Der Beginn 1961 war durch zwei weitere erfolgreiche Flüge gekennzeichnet. Am 3. April war das Raumschiff bereit, den ersten Weltraumflieger in der Geschichte an Bord zu nehmen. Doch damals, neun Tage vor dem Start, war noch nicht genau bekannt, wer fliegen würde. Von 20 Fliegern wurden sechs ausgewählt, wobei Juri Gagarin und German Titow als die Favoriten galten. Warum wurde Gagarin ausgewählt? Heute gibt es viele Versionen. Man sagt, dass Gagarin Koroljow wegen seines auffallenden Optimismus gefallen habe. Vielleicht aus dem Grund, weil Gagarin am besten in die Rolle des weltweit bekannten sowjetischen Helden passte – ein einfaches bäuerliches Gesicht, ein eindeutig russischer Name, eine starke Familie mit zwei Kindern, Lebensfreude, Offenheit. Am 9. April wurde er zum Kommandeur des Raumschiffs „Wostok-1“ ernannt.
Während Koroljow trübselig und unruhig war, freute sich Gagarin auf die erhaltene Chance. Er unterstützte den Konstrukteur, während er sich um das Schicksal des Forschers wie um das eines eigenen Sohnes kümmerte. Der Flug war erfolgreich – Oberleutnant Gagarin absolvierte erfolgreich eine Runde um die Erde und kehrte auf die Erde als Major und Legende zurück.
„Der menschliche Weltraumflug war ein gewaltiges Ereignis. Sergej war natürlich sehr glücklich. Doch besonders glücklich war er, als Gagarin landete. Er besichtigte das Weltraumschiff und fragte Gagarin ausführlich, wie es war. Ich denke, dieses Ereignis war das wichtigste in seinem Leben“, sagte die Tochter des Konstrukteurs, Natalja Koroljowa, gegenüber RT. „Obwohl auch der Vater selbst seine Geräte gerne testete, noch seit seiner Jugend. Einst kam er nach Hause und sagte – Ich hätte fliegen sollen, doch das Alter passt nicht mehr und ich hätte das auch seinlassen“, sagte Koroljowa.
Zu Lebzeiten wurde Koroljow nicht zur Legende. Während die ganze Welt Gagarin rühmte, blieb der Mensch, der die Ära der Raumfahrt einläutete, im Schatten. Laut seiner Tochter erhielt sein Vater wegen der Geheimhaltung zweimal nicht den Nobelpreis – das erste Mal für den Satelliten und das zweite Mal – für Gagarin. Als das Nobelpreis-Komitee die sowjetische Regierung bat, den Namen des Chefkonstrukteurs zur Verleihung des Nobelpreises zu nennen, sagte Chruschtschow: „Der Entwickler der neuen Technik ist bei uns das ganze Volk“.
Der Gründer der Raumfahrt verhielt sich normal zur Geheimhaltung. Am wichtigsten war für ihn die Arbeit und am wertvollsten — die Zeit.
Erst am 14. Januar 1966 wurde der Bevölkerung bekanntgegeben, dass gerade Sergej Koroljow es war, der die Ära der Raumfahrt einläutete. Am 17. Januar versammelte sich eine große Menschenmenge bei der Abschiedszeremonie vor der Beerdigung. Sie dauerte deutlich länger als geplant, wegen des großen Andrangs von Menschen, die sich von dem großen Konstrukteur verabschieden wollten.
(Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)