15. November 2011. Die Marssonde Phobos-Grunt wird laut Wladimir Popowkin, Chef der Russischen Weltraumbehörde Roskosmos, im Januar 2012 auf die Erde fallen. Die Chancen, mit dem Weltraumapparat eine Verbindung aufzunehmen, verringern sich. In den Vordergrund rückt die Frage, wohin die havarierte Station fallen und zu welchen Folgen dies führen kann.
Unvermeidlichkeit des Falls
Phobos (auf Griechisch: Angst) geht es nicht schlecht: Die Raumsonde hält zum Beispiel selbstständig die Orientierung an der Sonne aufrecht. Aber eine Verbindung mit dem Weltraumapparat auf der Stützumlaufbahn war nicht vorgesehen. Phobos schaffte es nicht, seine geplante Marsflugbahn zu erreichen.
„Alle Systeme des Weltraumapparates selbst funktionieren normal. Er orientiert sich an der Sonne. Zurzeit denken wir darüber nach, was zu tun ist, um die entstandene Situation zu verändern“, sagte der Rosksmos-Chef. In einiger Zeit jedoch wird die Umlaufbahn durchsacken, und die Raumsonde wird zwei Möglichkeiten haben: eine Korrektur der Umlaufbahn oder der Einstieg in die dichten Schichten der Erdatmosphäre mit einem darauf folgenden Niedergang. Eine Kurskorrektur ist im Moment unmöglich: Es gelingt nicht, mit der Station in Verbindung zu treten. Folglich ist ein Absturz mit einer hohen Wahrscheinlichkeit unvermeidlich. Leider ist es zurzeit vollkommen unmöglich, festzustellen, wann konkret (und folglich wohin konkret) Phobos-Grunt zu fallen anfangen wird.
Der von Wladimir Popowkin genannte Zeitraum (die Station wird bis einschließlich Januar fliegen) stimmt mit der Berechnung des unabhängigen kanadischen Experten Ted Molscan auf Grundlage der Angaben des Strategischen Kommandos der US-Streitkräfte (bis zum 12. Januar plus-minus 12 Tage) überein. Bisher gibt es keine genaueren Zeitprognosen. Bei einer solchen Zeitspanne ist es unmöglich, den Raum des potentiellen Niedergangs des Weltraumapparates zu bestimmen.
„Ich sage ihnen die reine Wahrheit: Vorläufig weiß dies niemand in der Welt. Niemand kann heute voraussagen, in welcher Lage sich die Erde beim Einstieg von Phobos-Grunt in die dichten Schichten der Atmosphäre befinden wird. Mit jeder Stunde gehen immer mehr Angaben ein. Deshalb werden wir zur exakt berechneten Fallzeit den Raum recht genau kennen“, teilte ein russischer Ballistiker RIA Novosti mit.
Phobos-Grunt war auf eine Umlaufbahn mit einer Neigung von 51,4 Grad gebracht worden. Im Ergebnis zeigen die Projektionen der Flugbahn des Weltraumapparates auf die Erdoberfläche einen rund um die Erde zum Äquator symmetrisch verlaufenden Streifen mit einer Breite von mehr als 11 000 Kilometern. Irgendwo in diesem Korridor liegt der Punkt, an dem die Existenz der Station enden wird. „Das betrifft die Hälfte von Nord- und Südamerika, ganz Australien und Afrika sowie die Hälfte Eurasiens“, sagte Igor Lissow, Redakteur und Kommentator der Zeitschrift „Nowosti Kosmonawtiki“ (Nachrichten der Weltraumfahrt) in einem Kommentar für RIA Novosti.
13 Tonnen Treibstoff mit Heptyl
Es ist recht kompliziert, zu sagen, wie das voll betankte Marschtriebwerk von Phobos beim unkontrollierten Verlassen der Umlaufbahn reagieren wird. Auch praktisch unmöglich ist, vorauszusagen, mit welcher Menge von Treibstoff der Weltraumapparat in die Erdatmosphäre eintreten wird. Gerade mit dem Treibstoff des Marschtriebwerkes hängen die Hauptbefürchtungen zusammen. Heptyl (asymmetrisches Dimethylhydrazin) sorgt bis heute für Schlagzeilen in Zeitungen im Zusammenhang mit der Panne der Trägerrakete Sojus mit dem Raumtransporter Progress M-12M über dem Altai.
Der Treibstoff (mit einer hohen Siedetemperatur) ist für die Nutzung in Boostern bequem. Aber außerdem ist er ein starkes Gift und verursacht Genmutationen. Nicht unschädlich ist auch die zweite Komponente. Als Oxydationsmittel wird Stickstoff-Tetraoxyd im Gemisch mit Salpetersäure genutzt.
Alles, was derzeit bekannt ist, zeugt eher davon, dass die Hauptmasse des gefährlichen Inhalts zusammen mit den Metallkonstruktionen ausbrennen oder sich in den oberen Schichten der Erdatmosphäre zerstreuen wird.
„Die Station verfügt über 7,5 Tonnen Treibstoff. Er befindet sich in Aluminiumbehältern. Wir haben keinen Zweifel, dass er beim Einstieg in die dichten Schichten der Atmosphäre explodieren wird. Es ist kaum wahrscheinlich, dass überhaupt irgendwelche Elemente die Erde erreichen werden“, teilte Popowkin am Montag mit. Es sei jedoch darauf verwiesen, dass ein Objekt mit einer großen Masse (mehr als 13 Tonnen) fallen wird. Damit werden irgendwelche Bruchstücke des Weltraumapparates die Erdoberfläche garantiert erreichen.
Was wir nicht alles verloren haben…
Die Weltraumfahrt hat recht unangenehme Erfahrungen bei dem Verlust von Apparaten mit einem viel gefährlicheren Inhalt als Heptyl im Marschtriebwerk von Phobos gemacht. Es handelt sich um hochradioaktive Stoffe.
In den 70er Jahren hatte die UdSSR recht aktiv Funkmessaufklärungssatelliten auf Niedrigen Umlaufbahnen eingesetzt, die für die Speisung ihrer Bordradare eine recht hohe Leistung gebraucht hatten. Diese Aufgabe wurde von kleinen Kernreaktoren an den Weltraumapparaten gelöst. Mit solchen Apparaten vom Typ US-A war zum Beispiel die Orbitalkomponente des Systems für maritime Weltraumaufklärung und Zielanweisung „Legende“ versehen. Dies ermöglichte es den sowjetischen U-Boot-Fahrern, auf einen Erfolg bei Fernbeschuss (400 bis 700 km) von Flugzeugträgergruppen der US-Flotte mit schweren Seezielraketen zu hoffen. Im Falle einer unvorhergesehenen Situation jedoch trat der Satellit samt dem Reaktor und dessen ganzen Füllung in die Atmosphäre ein.
Ein Aufsehen erregender Fall ereignete sich im Januar 1978, als der „sowjetische friedliche Traktor“, genannt Kosmos-954, unmittelbar über Nordkanada zerfiel und ein recht großes Territorium mit radioaktiven Bruchstücken verseuchte. Nach einem langen Skandal zahlte die Sowjetregierung den Kanadiern eine Entschädigung in Höhe von einige Millionen US-Dollar für den zugefügten ökologischen Schaden. Im Februar 1983 erlitt der Satellit Kosmos-1402 eine ebensolche Havarie, der Reaktor zerfiel über dem Südatlantik. Wenn er eine halbe Stunde früher in die Atmosphäre eingetreten wäre, so wäre das unmittelbar über Europa geschehen.
Ein weiteres Beispiel. Nach einer Radioisotopenquelle mit Plutonium, die zusammen mit dem Mondmodul vor der Notlandung der Apollo-13 abgetrennt worden war, hatten die Amerikaner nicht einmal gesucht. Sie war irgendwo im Stillen Ozean versunken.
Vor diesem Hintergrund ist ein Absturz von Phobos-Grunt ein zweifellos unangenehmes, aber gemessen an den möglichen Folgen durchaus kein katastrophales Ereignis.
Konstantin Bordanow, RIA Novosti
Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen