logo

Am 12. April 1961 flog der sowjetische Kosmonaut Juri Alexejewitsch Gagarin als erster Mensch in den Weltraum. In einem Gastbeitrag erinnert sich der erste deutsche Raumfahrer Sigmund Jähn an Gagarins "Sprung in den Kosmos" an Bord des Raumschiffs Wostok heute vor 50 Jahren.

 

In diesen Tagen, wo sich der erste Flug eines Menschen in den Weltraum zum 50. Mal jährt, wird man viel über dieses sensationelle Ereignis des 12. April 1961 lesen können. Fünf Jahrzehnte sind inzwischen vergangen. Man muss heute schon um die 60 sein, um behaupten zu wollen, man könne sich an dieses epochale Ereignis erinnern und habe es bewusst erlebt.

In Deutschland werden in diesen Tagen keine Zeitung und kein Fernsehkanal, die etwas auf sich halten, darum herumkommen, an den Raumflug von Juri Gagarin zu erinnern. Auch Spekulationen werden nicht fehlen. Juri Gagarin, ein leidenschaftlicher Flieger in den Luftstreitkräften der Sowjetunion, ist am 27. März 1968 bei einem Übungsflug mit dem doppelsitzigen Strahlflugzeug MiG-15 UTI gemeinsam mit einem Fluglehrer abgestürzt und tödlich verunglückt. Allein zu diesem tragischen Sachverhalt wurden schon in mehreren Büchern und ungezählten Artikeln die verschiedensten Spekulationen erfunden und verbreitet. Ich will zu diesem bedauerlichen Unglück meinen Standpunkt äußern, weil ich mit dem gleichen Flugzeugtyp selbst viel als Fluglehrer geflogen bin, an Untersuchungen von ähnlichen Abstürzen verantwortlich teilgenommen habe und sogar jene Ereignisse aus dem Umfeld des Absturzes kenne. Ich studierte 1968 an der Militärakademie der sowjetischen Luftstreitkräfte, die ganz in der Nähe zu dem Flugplatz, von welchem die Kosmonauten ihre Übungsflüge durchführen, gelegen ist. Später, während der Kosmonautenausbildung, wurden wir auf demselben Flugplatz ausgebildet.

1957: Mit "Sputnik" öffnet sich das Tor zum Weltraum

Zunächst soll es aber um die geschichtliche Situation in jenen Jahren gehen, wo es für Spezialisten und zahlreiche interessierte Menschen überall auf der Welt klar wurde, dass ein bemannter Raumflug unmittelbar bevorstand. Am 4. Oktober 1957 war der sowjetische unbemannte Raumflugkörper "Sputnik", der erste von Menschenhand geschaffene Satellit, auf eine Umlaufbahn um unseren Planeten gebracht worden. Dem ging der erfolgreiche Start einer Interkontinentalrakete im August desselben Jahres voraus. Mit Sputnik war das Tor zum Weltraum aufgestoßen. Ein Ereignis, das nicht überall nur eitel Freude bereitete. Fachleuten und Politikern war klar, dass nicht der kleine Raumflugkörper, dessen Sender ein überall hörbares Piepsen verbreitete, die Sensation war, sondern die Rakete selbst, die ihn in den Weltraum getragen hatte. Die Sowjetunion konnte mit ihren Raketen Waffen im Weltraum stationieren. Das atomare Wettrüsten hatte eine neue Dimension erreicht.

Den USA gelang der erste erfolgreiche Start eines Erdsatelliten nur vier Monate nach dem ersten sowjetischen Sputnik. Am 1. Februar 1958 erreichte Explorer-1 eine Umlaufbahn um die Erde. Aber das war auch der Ausdruck eines neuen Wettlaufes.

Denken und Arbeiten in zwei Dimensionen

Man konnte sich vorstellen, dass sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA tausende Menschen fieberhaft daran arbeiteten, die Voraussetzungen für den Raumflug eines Menschen zu schaffen. Dieses Ziel erforderte ein Denken und Arbeiten in zwei Dimensionen. Es ging einerseits um die Neu- und Weiterentwicklung der technischen Voraussetzungen für den Flug eines Menschen in der Raketentechnik, Elektronik, der automatischen Steuerung, der Nutzung der Himmelsmechanik, der Schaffung von Raumschiffen mit allen erforderlichen Lebenserhaltungssystemen, technischen Systemen und Standorten für die Flugleitung und vieles andere mehr. Die andere Dimension war die Auswahl und Vorbereitung von Kandidaten für die geplanten Raumflüge. Nicht von ungefähr ging man sowohl in der Sowjetunion als auch in den USA davon aus, dass Militärpiloten die am ehesten für die ersten Raumflüge geeignete Berufsgruppe darstellten.

Unter dieser Prämisse begann die Auswahl von Kandidaten für zukünftige Raumflüge in den Fliegertruppenteilen der Sowjetunion im Oktober 1959. Mitte Februar 1960 waren die medizinischen Untersuchungen, die eine spezielle Kommission leitete, abgeschlossen. Das Verhältnis der Flieger, die sich zur Auswahl stellten, zu denen, die von der Kommission bestätigt wurden, war etwa zehn zu eins. Gagarin gehörte zu denen, die die strenge Kommission von ihrer Eignung und besten Gesundheit überzeugen konnten. Die meisten Namen dieser "Gagarinschen Auswahlgruppe" wurden später weltbekannt: Es waren neben Gagarin – in der Reihenfolge ihrer späteren Raumflüge – German Titow, Andrian Nikolajew, Pawel Popowitsch, Walerij Bykowskij, Wladimir Komarow, Pawel Beljajew, Alexej Leonow. Zu dieser ersten Gruppe gehörten auch die Flieger B. Warlamow, A. Kataschow, G. Neljubow und Walentin Bondarenko, die aus verschiedenen Gründen als Kosmonauten nicht zum Ein­satz kommen konnten. Walentin Bondarenko verunglückte am 23. März 1961 bei einem Test in der Barokammer. Bis zum ersten Start eines dieser Männer hat sich die Zusam­men­setzung der Gruppe auch noch verändert.

Das Raumschiff Wostok

Weit vor dem Zeitpunkt der Auswahl von Raumfahrern hatte man bereits begonnen, sich mit der Konstruktion eines bemannten Raumschiffes zu befassen. Der erste sowjetische Raumschifftyp Wostok (Osten) wurde in der heutigen Raketen- und Raumfahrtkooperation "ENERGIJA" bei Moskau konstruiert und gebaut. Der Chefkonstruk­teur war der zunächst in der Öffentlichkeit nicht bekannte Sergej Koroljew. Die Konstruk­tions­arbeiten begannen bereits zu Beginn des Jahres 1957, also noch vor dem Start des ersten Sputniks. Als Trägerrakete wurde die Interkontinentalrakete R-7 vorgesehen, die dazu mit einer zusätzlichen dritten Stufe ausgerüstet werden musste.

In Form einer staatlichen Aufgabenstellung wurde die Thematik "Wostok" im Interesse des Raumfluges eines Menschen allerdings erst durch eine streng geheime Anordnung des Zentralkomitees  der Kommunistischen Partei und des Ministerrates der UdSSR vom 22. Mai 1959 gesetzlich verankert. Darin wurde die Aufgabe gestellt, die experimentelle Variante eines Raumfahrzeuges zu schaffen, das die Voraussetzungen für die Konstruktion eines Aufklärungssatelliten "als auch eines Sputniks, der für den Flug eines Menschen vorgesehen ist", erfüllt. Diese geschickt formulierten Worte in einem Nebensatz hauchten letztlich dem Wostok-Raumschiff, das am 12. April 1961 mit Juri Gagarin an Bord startete, Leben ein. Die konkrete Aufgabenstellung, "die ersten Flüge von Menschen in den Weltraum zu realisieren", wurde erst am 10. Dezember 1959 in einem Regierungsbeschluss festgelegt. Daraus geht hervor, dass zum "Wostok-Programm" nicht nur die Schaffung eines bemann­­ten Raumschiffes Wostok-3 (Werksbezeichnung 3K), sondern auch ein konstruktiv analoger jedoch in seiner Ausrüstung unterschiedlicher Foto-Aufklärungssatellit Wostok-2 (Werksbezeichnung 2K, später als ZENIT-2) und eine vereinfachte Raumschiff-Variante Wostok-1 (Werksbezeichnung 1K zum Test von Ausrüstung und Systemen) gehörten.     

Extreme Bedingungen beim Wiedereintritt

Als Hauptprobleme für die Konstruktion des Raumschiffes wurden die extremen Bedingun­gen beim Wiedereintritt der Landekapsel mit dem Kosmonauten an Bord in die Erdatmo­sphäre erkannt. Das war zum einen das Aufheizen des Landeapparates - man erwartete Tem­pe­­raturen von weit über 1000 Grad durch die Bremswirkung der Atmosphäre - und zum anderen hohe Lastvielfache im Bereich des Zehnfachen der normalen Gravitationskraft. Obwohl bekannt war, dass ein Wiedereintrittskörper mit der Form eines stumpfen Kegels besonders im Hinblick auf die hohen Lastvielfachen günstiger ausfallen würde, entschlossen sich die Konstrukteure für die Kugelform. Das führte sicher zu Zeitersparnis. Ebenfalls der Ein­fachheit der Konstruktion wegen verzichtete man zunächst auf ein System der weichen Landung. In einer Höhe von etwa acht Kilometern sollte der Prozess des Katapultierens eingeleitet werden. Der Kosmonaut wurde mit dem Sitz aus der Kapsel geschleudert und landete am Fallschirm. Die Kapsel landete an einem separaten Fallschirm.

15. Mai 1960: Erstes Test-Raumschiff im Orbit

Am 15. Mai 1960 erfolgte der erste Start einer Rakete, die den gleichen Namen trug wie das Raumschiff, vom Startplatz Tjuratam (Baikonur). An Bord befand sich das erste Raumschiff Wostok mit der Werksbezeichnung 1KP. Es hatte eine Masse von 4.540 Kilogramm. Die Orbit­parameter betrugen im Apogäum 369 Kilometer, im Perigäum 312 Kilometer. Die Neigung gegenüber der Ebene des Äquators betrug 65 Grad und die Umlaufzeit um die Erde  91,2 Minuten. Dieses erste Test-Raumschiff hatte noch keine Lebenserhaltungssysteme, keine Landesysteme und auch keine spezielle Hitzeschutzschicht. Die Körpermasse eines Menschen hatte man imi­tiert. Der Test verlief nicht erfolgreich. Wegen des Versagens eines Infrarot-Sensors wurde das Raumschiff für die Landung nicht gebremst, sondern gelangte auf eine noch höhere Bahn.

Juni bis Dezember 1960: Weitere Flüge mit Hunden an Bord

Der zweite Start erfolgte am 28. Juni 1960 unter der Werksbezeichnung 1K (Nr. 1). Dieses Raumschiff verfügte über das vorgesehene Landesystem und hatte auch die erforderliche Hitzeschutzschicht. In einem Container, dessen Platz zum Katapultieren des Kosmonauten vorgesehen war, befanden sich die Hunde Lisitschka und Tschaika. Wegen einer Explosion der Brennkammer in einem Block der ersten Raketenstufe (einer der Seitenblocks) wurde die Rakete in der 38. Sekunde nach dem Start zerstört. Ein Rettungssystem für eine solche Situation gab es noch nicht. Die beiden Hunde wurden getötet. Über diesen Startversuch wurde die Öffentlichkeit nicht informiert.

Am 19. August 1960 wurde das zweite Raumschiff unter der Bezeichnung 1K (Nr. 2) erfolgreich gestartet. Die Bahndaten waren bei diesem und den folgenden Tests etwa die gleichen wie beim Flug vom 15. Mai 1960. An Bord befanden sich in einem katapultierbaren Container die Hunde Belka und Strelka. Bei diesen beiden Tieren wurden während des Fluges Blutdruck, Elektrokardiogramm, Herztöne, Atemfrequenz, Körpertemperatur und sogar die Bewegungsaktivität registriert. Außerdem befanden sich in speziellen Containern zwei weiße Ratten, 12 weiße und graue Mäuse sowie Käfer, Gewächse und Samen. Die Aufzeichnungen einer Filmkamera zeigten, dass sich die Hündin Belka unruhig verhielt und sich sogar erbrach. Diese Beobachtung führte letztlich dazu, dass später die Flugdauer für den ersten Kosmo­nauten auf nur eine Erdumkreisung begrenzt wurde.

Die Landung erfolgte am 20. August 1960 nach etwa 23 Flugstunden. Wie beim Schiff 1KP versagte der Infrarot-Sensor des Lageregelungssystems. Für die erforderliche präzise Lage­regelung vor dem Einschalten des Bremstriebwerkes konnte das Reservesystem, bei dem das Raumschiff nach der Sonne orientiert wurde, genutzt werden. Die Landung erfolgte mit einer relativ geringen Abweichung von zehn Kilometern vom vorgesehenen Landepunkt. In der TASS-Meldung wurde mitgeteilt: "Das Raumschiff und die vor der unmittelbaren Landung von diesem abgetrennte Kapsel mit Tieren sind wohlbehalten gelandet. Die Hunde Belka und Strelka sind nach Raumflug und Landung bei gutem Befinden."

Parallel zu den Arbeiten und Testflügen mit den genannten Raumschiffen 1K wurde im Werk bereits am bemannten Raumschiff 3K gearbeitet. Im Interesse der Beschleunigung der Arbei­ten beschloss man auf einige geplante technische Lösungen zu verzichten. Aus diesem Grund erhielt das nun vereinfachte Projekt die Werksbezeichnung 3KA.

Im September 1960 wurde auf der höchsten politischen Ebene nach entsprechenden Vor­schlägen der Programmverantwortlichen der Beschluss gefasst, "die Vorbereitung und den Start eines Raumschiffes Wostok (3KA) mit einem Menschen an Bord im Dezember 1960 zu verwirklichen und diese Aufgabe mit höchster Wichtigkeit zu behandeln."

24. Oktober 1960: Verzögerungen durch Explosion einer Interkontinentalrakete

Für die sichere Vorbereitung dieses ersten bemannten Raumfluges sollten im Oktober oder November 1960 noch zwei Raumflüge mit den Raumschiffen Wostok 1K und im November oder Dezember zwei Raumflüge mit Raumschiffen Wostok 3KA stattfinden. Diese Aufgaben­stellung stand aber unter einem unglücklichen Stern. Wichtige Fachleute des Werkes waren für den - wegen der beiderseitigen Konstellation nicht verschiebbaren - Start von zwei Mars­sonden gebunden. Außerdem ereignete sich am 24. Oktober 1960 in Baikonur eine Kata­strophe mit einer Interkontinentalrakete, bei der 92 Menschen ums Leben kamen. Der Monat Dezember 1960 als Termin für den Start des ersten Menschen war unter diesen Bedingungen nicht zu halten. Die vorgesehenen Testflüge konnten bis Ende November 1960 nicht sicher­gestellt werden.

So kam es am 1. Dezember 1960 erst zum Start des unbemannten dritten Wostok-Raumschiffes 1K (Nr. 5). An Bord befanden sich die Hunde Pscholka und Muschka. Während des Abarbeitens des Bremsimpulses zur Landung gab es einen Defekt im System der Stabili­sie­rung. Der für die Landung erforderliche Bremsimpuls fiel dadurch zu gering aus, was zu einem zu flachen Neigungswinkel beim Eintauchen in die Atmosphäre und damit zur Gefahr der Landung außerhalb des Territoriums der UdSSR geführt hätte. Das Raumschiff musste entsprechend den Festlegungen mit dem für solche Fälle installierten Bordsystem gesprengt werden (womit dieses neue System seinen Einsatztest bestand).

Das letzte Raumschiff der Serie 1K (Nr. 6) wurde danach bereits am 22. Dezember 1960 gestartet. Erneut waren zwei Hunde und kleinere Tiere an Bord. Infolge der Zerstörung eines Gas­generators der dritten Raketenstufe wurde das Triebwerk in der 432. Sekunde abgeschal­tet. Das Raumschiff erreichte suborbital nur eine maximale Höhe von 214 Kilometern. Die Landekapsel mit zwei Hunden fiel zu Boden und konnte schließlich am 26. Dezember, in 60 Kilometern Entfernung von Tura in Ewenkien, geborgen werden. Die Hunde hatten Glück: Da die Katapulteinrichtung auch versagt hatte, verblieben sie im Raumschiff. Außerhalb der Kapsel herrschte eine Temperatur von minus 40 Grad.

Die Voraussetzungen für den Flug eines Menschen waren so noch nicht gegeben. Nach­arbeiten waren erforderlich. Es fehlten außerdem noch die beiden festgelegten unbemannten Tests mit Raumschiffen 3KA. Ein weiteres Problem war, dass von den Fachleuten des Werkes Anfang Februar 1961 erneut die Starts von zwei interplanetaren Sonden, und zwar zur Venus, sichergestellt werden mussten.

9. März 1961: Erster Testflug mit einer menschenähnlichen Puppe an Bord

Erst am 9. März 1961 konnte ein Raumschiff - mit der Werksbezeichnung 3KA (Nr. 1) - gestar­tet werden. Dessen Masse hatte sich auf 4.700 Kilogramm erhöht. Das Flugprogramm sah vor, den Flug eines Menschen vollständig zu imitieren. Im Katapultsessel hatte man eine Puppe installiert. Start und Flug verliefen normal. Beim Trennen der Landekapsel von der Orbital­sektion vor dem Wiedereintauchen in die Atmosphäre trennten sich die Kabelverbindungen zwischen diesen beiden Teilen des Raumschiffes nicht wie vorgesehen. Erst durch die Hitze­entwicklung beim Fallen in der Atmosphäre brannten die Kabel ab und die beiden Raum­schiff­­segmente konnten sich vollständig trennen. In der Folge kam es zu einem Überfliegen des berechneten Landepunktes um 412 Kilometer. Die Landekapsel hatte wie geplant eine Erdum­krei­sung durchgeführt und landete etwa 260 Kilometer nordöstlich Kujbyschew.

Es fehlte noch der letzte der im September 1960 festgelegten unbemannten Testflüge. Dieser sollte am 17. März 1961 erfolgen. Die Kosmonautengruppe befand sich zu diesem Zeitpunkt bereits auf einem Flugplatz im Gebiet Kujbyschew. Den Kosmonauten sollte die Gelegenheit gegeben werden, die Landung des letzten Testraumschiffes - erneut mit einer Puppe an Bord - zu verfolgen. Der Start wurde aber um einige Tage verschoben und erfolgte schließlich am 25. März 1961 mit dem Raumschiff, das die Werksbezeichnung 3KA (Nr. 2) trug.

Ausrüstung und Bahndaten dieses Raumschiffes unterschieden sich kaum von seinem Vor­gän­ger vom 9. März. Das an Bord befindliche Hündchen wurde von Juri Gagarin auf den Namen Zwezdotschka (Sternchen) getauft. Die Kosmonautengruppe nahm am Start an ver­schie­­denen Punkten auf dem Kosmodrom teil. Beim Wiedereintritt in die Erdatmosphäre trat das alte Problem auf - die Kabelverbindung zwischen Orbitalsektion und Landkapsel musste erst abbrennen, bevor die Orbitalsektion die Landekapsel völlig freigab. Die Folge war, wie beim Flug am 9. März, dass die Landung mit einem Überflug von etwa 660 Kilometern vom berech­neten Landeort erfolgte.

8. April 1961: Gagarin wird der erste Kosmonaut

Am 29. März 1961 schlug der Generalkonstrukteur Sergej Koroljew einer Regierungs­kommis­sion vor, ein Raumschiff Wostok mit einem Menschen an Bord zu starten. Eine technische Kommission verfügte unter anderem, dass der bevorstehende Raumflug ohne ein System der Selbstzerstörung des Raumschiffes durchzuführen sei. Am 3. April 1961 bestand die Gruppe der Flieger, die für den bevorstehenden Raumflug infrage kamen, noch aus drei Männern: Gagarin, Titow und Neljubow. Alle drei diktierten für den Fall ihres Starts ihre vorgesehene und redigierte Ansprache auf Tonband. An diesem Tag gab auch Nikita Chruschtschow als Vorsitzender des Präsidiums der Kommunistischen Partei der Sowjetunion die Erlaubnis zum ersten bemannten Raumflug.

Bis zum Tag des Starts verblieb nur noch eine Woche, aber offiziell war die Frage, wer fliegen würde, noch nicht entschieden. Erst am 8. April 1961 gab die Regierungskommission die Aufgabenstellung für den Raumflug und die Namen des ersten Kosmonauten bekannt. Die Aufgabenstellung lautete:

- Durchführung einer Erdumkreisung in einer Höhe von 180 bis 230 Kilometern mit einer Flugdauer von einer Stunde und dreißig Minuten und der Landung im festgelegten Gebiet,

- Erkundung der Möglichkeit des Aufenthaltes von Menschen im Weltraum in einem speziell ausgerüsteten Raumfahrzeug,

- Test der Funktion der Systeme und Geräte des Raumschiffes sowie der Funkverbindung mit Bodenstationen,

- Einschätzung der Zuverlässigkeit der Landesysteme für den Kosmonauten und die Landekapsel.

Juri Gagarin war als erster Kosmonaut, German Titow als Ersatzmann bestätigt worden. Der Eingriff in die Steuerung des Raumschiffes war nicht vorgesehen, aber möglich. Es wurde beschlossen, dem Kosmonauten die Chiffre eines "logischen Schlosses" für den Zugang zur Handsteuerung des Raumschiffes in einem verschlossenen "Paket" zu übergeben. Man war sich nicht sicher über den Einfluss kosmischer Faktoren auf das physische und psychische Reaktionsverhalten des Menschen. Der Zugang zur Handsteuerung sollte nur mit Erlaubnis der Flugleitung über die Nutzung einer Chiffre ermöglicht werden.

12. April 1961: Gagarin startet um 9.07 Uhr Moskauer Zeit

Am Abend des 11. April 1961 schliefen Gagarin und Titow in einem kleinen Häuschen in der Nähe des Startplatzes der Rakete. Sie wurden am Starttag, dem 12. April 1961, um 5.30 Uhr geweckt, frühstückten, unterzogen sich einer ärztlichen Untersuchung und legten mit Hilfe der entsprechenden Spezia­listen beide die Skaphander genannten Höhenschutzanzüge an. Dann nahm Gaga­rin im Raumschiff an der Spitze der startbereiten Rakete Platz.

Die Rakete startete am 12. April 1961 um 9.07 Uhr Moskauer Zeit (7.07 Uhr MEZ). Die Landung des ersten Raumfahrers der Menschheit erfolgte am 12. April 1961 um 10.55 Uhr Moskauer Zeit in der Nähe des Dorfes Smelowka im Gebiet Saratow unweit der Wolga. Die Kapsel hatte den berechneten Landeort immerhin um 110 Kilometer verfehlt. Doch war Gagarin die Gegend, wohin ihn sein Flug und das Glück gebracht hatten, nicht unbekannt. In Saratow hatte er gelernt und seine Fallschirm-Sprungausbildung absolviert. Wie der Flug verlief, interessierte zunächst niemanden. Alle waren glücklich. Gagarin wohl am meisten. Und es bewahrheitete sich, dass es den Richtigen getroffen hatte. Wie sich zeigen sollte, war er in allen Situationen, die er später zu meistern hatte, erste Wahl.

Premiere mit ein paar Komplikationen

Der Flug indessen verlief alles andere als komplikationslos. Anstelle der vorgesehenen Apo­gäums­höhe von 230 Kilometern erreichte das Raumschiff eine Bahnhöhe von 327 Kilometern. Die Ursache wurde gefunden: Die Zentralstufe der Rakete schaltete beim Start wegen des Aus­falles eines Stromversorgungsteiles nicht rechtzeitig ab. Die Rakete kam zu hoch. Das hätte bei Ausfall des Bremstriebwerkes des Raumschiffes zu einer kritischen Verlängerung der Flug­zeit geführt.

Es gab auch Probleme beim Landemanöver. Um 9.55 Uhr Moskauer Zeit war das Raumschiff Gagarins bereits in der richtigen Lage für das Einschalten des Bremstriebwerkes. Um 10.25 Uhr schaltete sich das Bremstriebwerk ein. Es arbeitete jedoch etwa eine Sekunde kürzer als vorgesehen. Die Ursache: Ein Ventil im Kraftstoffsystem klemmte, der Kraftstoff verteilte sich im System, was in der Folge dazu führte, dass sich das Raumschiff mit etwa 30 Grad pro Sekunde zu drehen begann.

Ununterbrochener Salto mortale

Gagarins Bericht über diese Situation und seine Gefühle hatten aber eher einen humorvollen Ton: "Es war wie ein ununterbrochenes Salto mortale. Vom Kopf auf die Füße, von den Füßen auf den Kopf und das mit sehr hoher Drehgeschwindigkeit. Alles hat sich gedreht. Da sehe ich Afrika, dann den Horizont, dann den Himmel. Dann wollte ich mit den Füßen das Bordfenster verdecken, weil mich die Sonne blendete. Ich hätte es vielleicht mit dem Vorhang abdunkeln können, das wollte ich aber nicht. Es war alles sehr interessant was da vor sich ging. Ich wartete auf die Abtrennung von der Orbitalsektion... die Trennung kam nicht...". Das vorzeitige Abschalten des Bremstriebwerkes hatte auch das Lande-Zyklogramm abge­brochen, und damit wurde das Kommando zur Trennung von Orbitalsektion und Lande­kapsel nicht ausgelöst. Die beiden Teile wurden über das Reservesystem getrennt. Tempe­ratur­­sensoren lösten in etwa 130 Kilometern Höhe die Trennung über Pyropatronen aus. Die Zeit­ver­zöge­rung für die Trennung betrug 10 Minuten. Eine wahrscheinlich ewige Wartepause für den Kosmonauten.

Das Katapultieren erfolgte in einer Höhe von etwa sieben Kilometern. Beim Ausfahren und Öffnen des Hauptfallschirmes wurde aus unerklärlichen Gründen der Reservefallschirm eben­falls gefahren und geöffnet. Das kleinste Problem bei der Landung war dann wohl, dass Juri Gagarin für einige Zeit das Atemventil an seiner Ausrüstung nicht öffnen konnte. Die Meldung der Nachrichtenagentur TASS war nur kurz: "Um 10 Uhr 55 Minuten Mos­kauer Zeit ist das sowjetische Raumschiff Wostok im vorgesehenen Gebiet der Sowjet­union gelandet."

Nach der Landung: Umjubelter Star

Juri Gagarin wurde nicht nur in seinem Heimatland zu einem umjubelten Gast. Doch er wollte nicht ewig gefeiert werden. Er wollte in seinem neuen Beruf als Kosmo­naut und gleichzeitig als Flieger tätig sein.Im Kosmonautenausbildungszentrum war er der Stellvertreter des Kommandeurs und für die kosmische und fliegerische Ausbildung verant­wortlich. Er wollte sich nicht damit abfin­den, ein Vorgesetzter zu sein, der in seiner Verant­wortlichkeit nicht mit gutem Beispiel voran­gehen durfte. In der Mitte der 1960er Jahre lief die Ausbildung der Kosmonauten für das sowjetische Mondprogramm an. Ein neues Raumschiff - Sojus - war zum Testflug bereit.  Gagarin wurde der Ersatzmann für Wladimir Komarow, der am 12. Oktober 1964 den ersten Raumflug mit dem neuen Raumschiff absolvierte - und dabei tödlich verunglückte. In dieser Situation musste sich Gagarin damit abfinden, dass ihm weitere Raumflüge nicht gestattet wurden.

Die Ausbildung und das Training als Flieger auf den Jagdflugzeugen des zum Kosmonautenausbil­dungs­zentrums gehörenden Geschwaders wollte er sich aber nicht verbieten lassen.

27. März 1968: Gagarin stirbt nach einem Flugzeugabsturz

So kam es zu jenem Unglücksflug am 27. März 1968. Gagarin war seit Beginn seiner Raumfahrer­ausbildung nicht mehr geflogen. Aus Berichten von Fliegern, die damals selbst vor Ort waren, weiß ich, dass die Wetterbedin­gun­gen wegen starker Wolkenschichten für den Flug eigentlich ungeeignet waren. Die Entscheidung für die Flugdurchführung lag beim Komman­deur des Geschwaders, Wladimir Serjogin, der selbst als Fluglehrer mit Gagarin flog. Das Strahlflugzeug MiG-15 UTI mit der Besatzung stürzte im Verlauf des Fluges mit steilem Winkel und arbeitendem Triebwerk in ein Waldstück. Der 34 Jahre alte Gagarin und Serjogin fanden den Tod.

An diesem Tatbestand ist nichts zu deuten. Alle Mutmaßungen, dass Gagarin auf eine andere Weise ums Leben kam, sind erfundene Gerüchte. Ich finde es ebenso überflüssig und sogar sinnlos, die "wahre" Ursache des Absturzes finden zu wollen. Eine kompetente Kommission von Experten hat einen Untersuchungsbericht vorgelegt. Darin werden auch Varianten dargelegt. Jeder Flieger, der die aerodynamischen Besonderheiten dieses Flugzeug­typs kannte, weiß, dass man es auch bei relativ hoher Geschwindigkeit zum Strömungsabriss oder in einen unklaren Flugzustand bringen konnte, und das erst recht in den Wolken. Was auch immer der eigentliche Ausgangspunkt - bereits während des Fluges - für das Unglück war, wird sich nie mehr klären lassen.

Ich hatte damals keine Verbindung zur Raumfahrt. Doch ging mir der Tod Gagarins und Serjogins sehr nahe. Am Tag der Verabschiedung von den beiden Fliegern im Haus der Sowjet­armee in Moskau wurden in der Militärakademie einige Fahrzeuge bereitgestellt. Die Teil­nahme unseres Ausbildungskurses war aber nicht vorgesehen. Ich sprang vor der Abfahrt kurz entschlossen über die Bordwand eines der Lkw und fuhr mit. Die Trauer der Men­schen in Moskau, die mit Tränen in den Augen stundenlang warteten, um sich an den Urnen Gagarins und Serjogins zu verabschieden, wird mir immer im Gedächtnis bleiben.

 

Bildmaterial aus rechtlichen Gründen direkt bei DLR
(Quelle: DLR / mit freundlicher Genehmigung)


© 2024 Funkzentrum In Media e. V.
Cookies erleichtern die Bereitstellung unserer Dienste. Mit der Nutzung unserer Dienste erklären Sie sich damit einverstanden, dass wir Cookies verwenden.