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Frühestens in zehn Jahren soll der erste nutzbare Quantencomputer laufen, der die Digitalrechner bei der Leistung um ein Mehrfaches übertrifft. Doch schon jetzt kommt mancherorts Alarmstimmung auf: Cyber-Verbrecher könnten sich den Superrechner zunutze machen und gar ein Desaster anrichten. Physiker beruhigen: Eine Katastrophe ist nicht in Sicht.

In den letzten Jahren wurden die Rechengehirne der Computer immer schneller, die Prozessoren immer kleiner. Weil die Menschheit auf der Suche nach noch mehr Rechenleistung bereits auf physikalische Grenzen stößt, dringt man in eine neue Welt ein, die Quantenwelt. Hier verlieren sich einige der uns bekannten Gesetzmäßigkeiten: Objekte können mehrere Zustände gleichzeitig annehmen. Ein klassischer Computer rechnet mit Bits, die entweder 0 oder 1 (Binärcode) betragen können. Ein Quantencomputer führt Berechnungen in Quantenbits, kurz Qubits, aus, bei denen die Zustände 0 und 1 zur gleichen Zeit möglich sind.

Darüber hinaus braucht ein Quantencomputer — anders als ein herkömmlicher — keine Zeit, um die Information weiterzuleiten. Denn seine Speicherzellen bestehen aus miteinander verschränkten Quantenteilchen. Nimmt ein Teilchen einen Zustand an, hat das verschränkte Teilchen genau in diesem Augenblick denselben Zustand.

Diese Parallelität der Vorgänge und die Verschränkung der Quanten machen den Traum von einem Superrechner wahr. Die Welt, wie wir sie bisher kennen, wird dadurch verändert.

Nur keine Panik!

Weil die aktuell verwendeten Verschlüsselungssysteme gegen den künftigen Quantenrechner offensichtlich keine Chance haben werden, verbreitet sich Alarmstimmung über das Netz. Manch einer warnt vor einem Quanten-Hack mit katastrophalen Folgen. Einem anderen lässt schon allein der Gedanke Angst in die Glieder fahren, dass Cyberverbrecher alle Messaging-Dienste und sozialen Netzwerke gleichzeitig zu Fall bringen oder alle Bankkonten leeren könnten.

„Eine Übertreibung“, entwarnt der russische Physiker Alexander Lvovsky. Der 43-Jährige leitet Forschungen zur Quantenoptik und Quantenkryptographie am Russischen Quanten-Zentrum und ist Professor an der University of Calgary (Kanada).

Man bräuchte nämlich eine Unmenge von Quantencomputern, um etwa die Kontrolle über alle Banktransaktionen in der Welt zu ergreifen, erläutert der Forscher im Gespräch mit Sputnik. Ein derart massenhafter Missbrauch wäre zumindest in absehbarer Zeit nicht möglich, weil die neuen Rechner zunächst zu kompliziert und zu teuer sein würden. Wenn diese Technologie sich mit der Zeit weiter entwickle und billiger werde, würden auch die Verschlüsselungssysteme entsprechend angepasst. „Deshalb kann man kaum von einer Katastrophe sprechen.“

Durchbruch gelungen

Das Konzept des Quantenrechners wurde erstmals in den Achtzigern beschrieben, doch ein Durchbruch gelang erst vor ein paar Jahren. Noch vor kurzem sei nicht einmal klar gewesen, zu welchem Material man greifen sollte, um einen Quantencomputer zu bauen, so Lvovsky. „Aber in den letzten Jahren gelang es den Physikern, die supraleitenden Quantenketten in den Griff zu bekommen und auf ihrer Grundlage Schaltkreise mit mehreren Quantenbits zu kreieren.“

Die Weiterentwicklung solcher Systeme laufe auf deren Maßstabsvergrößerung hinaus, was keine Frage der fundamentalen Forschung mehr sei, sondern eine der Ingenieure. „Man kann annehmen, dass ein Quantencomputer, der dem klassischen wesentlich überlegen ist, in zehn bis 15 Jahren geschaffen wird.“

Selbst dem Superrechner zu hart

Auch wenn die Quantentechnologie die Computerkriminalität auf eine neue Ebene katapultieren wird, wird die Gefahr dadurch kaum größer. Denn „die Quantentechnologie gibt uns nicht nur eine Waffe für den Cyber-Krieg, sondern auch eine Abwehrmöglichkeit“, erläutert Lvovsky.

„Die Quanten-Kryptographie kodiert die Informationen im Quantenzustand der Photonen. Diesen Zustand kann man nicht messen, ohne dass dabei deren Verhalten verändert wird. Versucht also ein Spion die Photonen abzulesen, fliegt er sofort auf.“

Die Sicherheit der Quanten-Kryptographie hängt also nicht von der mathematischen Kompliziertheit ab, sondern von den fundamentalen physikalischen Gesetzen, so der Forscher. „Und diese Nuss ist selbst dem Quantencomputer zu hart.“

Hinzu kommt, dass die Quanten-Kryptographie — anders als der Quantencomputer selbst — bereits Realität ist. „Man kann schon jetzt Server kaufen, sie an das herkömmliche Lichtfasernetz anschließen und so sicher Daten übertragen“, sagt der Forscher. Das Russische Quantenzentrum etwa beginne mit der Serienproduktion solcher Server.

Parallel dazu werde an Post-Quanten-Algorithmen gearbeitet. „Diese klassischen, Nicht-Quanten-Algorithmen sind derart kompliziert, dass nicht einmal ein Quantencomputer sie knacken kann.“

Quantenrechner sollen unser Leben revolutionieren

Immerhin darf die Quantentechnologie nicht unterschätzt werden. Laut Lvovsky wird sie unser Leben in ähnlichem Maße revolutionieren wie die Halbleiter in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts die Elektronik revolutioniert haben. Außer in der Informationssicherheit sei in vielen anderen Bereichen mit bahnbrechenden Entwicklungen zu rechnen.

Mit der Quantentechnologie könnte man zum Beispiel die biologischen Prozesse besser verstehen und steuern, leichtere und schnellere Luftfahrzeuge bauen und möglicherweise sogar ein Back-up des menschlichen Gehirns erstellen, so der Forscher.

Auf dem Weg zum Quantencomputer sind gegenwärtig die USA der Spitzenreiter. Die IBM Corporation hat sogar ihren aus fünf Qubits bestehend Quantenprozessor über die IBM Cloud öffentlich zugänglich gemacht, so dass jeder dort Experimente durchführen kann. Ein erbitterter Wettbewerb zwischen verschiedenen Ländern, wie es ihn beim Waffenbau gibt, bleibt jedoch aus. Lvovsky: „Das erklärt sich zum Teil damit, dass die Quantentechnologie noch immer der fundamentalen Erforschung bedarf, und die fundamentale Wissenschaft ist an sich international.“ Was konkret den Quantencomputer angehe, so lasse sich die Technologie aufgrund der Kompliziertheit „nicht wie einst die Atombombe in einem isolierten Kollektiv“ entwickeln, sagt der Forscher. „Da muss die gesamte Forschungswelt mitmachen.“

Sergej Pirogow

 (Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)

 

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