Mit dem IceCube-Observatorium am Südpol wird eines der anspruchsvollsten Projekte der Wissenschaftsgeschichte vollendet / Forscher, Doktoranden und Studierende der Universität Mainz seit mehr als 10 Jahren beteiligt
Nach knapp sechs Jahren Bauzeit und einem Jahrzehnt Vorbereitung wurde am 18. Dezember 2010 das Neutrino-Teleskop „IceCube“ fertiggestellt. Der größte Teilchendetektor der Welt besteht aus einem Kubikkilometer Eis, der mit höchstempfindlichen Lichtsensoren durchsetzt ist. Sie fangen die Spuren von Neutrinos aus dem Weltall auf, um durch diese "Himmelsboten" Informationen über weit entfernte Galaxien zu erhalten. Neutrinos werden oft als Geisterteilchen bezeichnet, da sie große Mengen Materie unbeobachtbar durchdringen können. Der Nachweis erfordert daher gigantische Detektoren.
IceCube ist im tiefen Eis unter der US-amerikanischen Amundsen-Scott-Station am geografischen Südpol installiert. Das Projekt wird von einem internationalen Konsortium unter Führung der US-amerikanischen National Science Foundation (NSF) betrieben. Die NSF hat auch den größten Teil der Baukosten von 279 Millionen US-Dollar übernommen. IceCube besteht aus 86 Kabeltrossen, an denen in Tiefen zwischen 1,45 und 2,45 km jeweils 60 Glaskugeln angebracht sind. Die Kugeln umschließen hochempfindliche Lichtsensoren, die das schwache bläuliche Leuchten auffangen, das bei Neutrinoreaktionen entsteht. Ein Viertel dieser insgesamt über 5.000 optischen Sensoren wurde durch deutsche Forschungsgruppen bereitgestellt und am Standort Zeuthen des Deutschen Elektronen-Synchrotrons (DESY) zusammengesetzt und getestet. Die Trossen sind in 125 Meter Abstand voneinander angeordnet, sodass insgesamt ein Volumen von einem Kubikkilometer mit Lichtsensoren bestückt ist.
Der Südpol ist ein idealer Ort für dieses Projekt durch sein kristallklares Tiefeneis und durch die exzellente Infrastruktur, die die Amundsen-Scott-Station bietet. Ausrüstungen und Personen werden von McMurdo, der amerikanischen Station am Rande der Antarktis, mit kufenbestückten Transportflugzeugen eingeflogen. Die Installationsarbeiten werden im antarktischen Sommer zwischen November und Februar durchgeführt, wenn die Sonne 24 Stunden am Tag scheint und die Temperaturen auf erträgliche -30 Grad Celsius steigen. Die Löcher, in die die Kugeln herabgelassen werden, werden mit 80 Grad Celsius heißem Wasser ins Eis geschmolzen. Nachdem eine Trosse mit optischen Sensoren herabgelassen ist, friert das Loch innerhalb weniger Tage wieder zu. Die von allen Sensoren gemessenen Signale werden zur Zentralstation an der Oberfläche übertragen, dort aufbereitet und via Satellit an die Forschungsinstitute auf der Nordhalbkugel gesendet.
Neutrinos sind geisterhafte Elementarteilchen, die 1930 vorhergesagt, jedoch erst 1956 nachgewiesen wurden. Milliarden von ihnen prasseln pro Sekunde auf jeden Quadratzentimeter der Erdoberfläche und die meisten von ihnen durchdringen die Erde, ohne mit einem einzigen Atom zu kollidieren. Weil sie kaum mit anderer Materie in Wechselwirkung treten, sind Neutrinos zwar schwer nachzuweisen, können aber genau deshalb auch viel leichter als Licht aus kompakten kosmischen Regionen wie etwa dem Inneren unserer Sonne entweichen und setzen dann ihren Flug durchs All ungestört fort. Das macht sie zu einzigartigen kosmischen Boten. Bisher nachgewiesene Neutrinos von einer 1987 registrierten Supernovaexplosion und von der Sonne haben die Theorien über Supernovae und über die Fusionsreaktionen im Sonneninneren überzeugend bestätigt. Dafür wurde im Jahr 2002 der Physiknobelpreis verliehen. IceCube sucht nach Neutrinos aus Quellen, die viel weiter entfernt sind als unsere Sonne – Tausende bis Milliarden von Lichtjahren. Zu den Forschungsobjekten zählen schwarze Löcher, die im Zentrum von Galaxien sitzen und Materie wie in einem Mahlstrom in sich hineinziehen, sowie die rätselhafte Dunkle Materie, die unser Universum erfüllt, aber bisher nicht identifiziert werden konnte.
Der Aufbau von IceCube hat es erlaubt, schon vor seinem endgültigen Bauabschluss Messungen durchzuführen. In jedem Jahr seit 2005 wurden mit der jeweils fertiggestellten Konfiguration von Trossen (2005: 1, 2006: 9, 2007: 22, 2008: 40, 2009: 59, 2010: 79 Trossen) Daten genommen. Mit dem wachsenden Detektor wurden die Daten von Jahr zu Jahr detaillierter und haben bereits erste Ergebnisse geliefert.
Die Johannes Gutenberg-Universität Mainz (JGU) ist seit mehr als zehn Jahren mit vielen Studierenden und Doktoranden an den Vorbereitungen, dem Aufbau und der Auswertung des Experiments beteiligt. Sie ist unter anderem für ein System zur Aufzeichnung von Daten aus Supernova-Explosionen verantwortlich. Bislang trugen 12 Mainzer in der Antarktis zu Aufbau und Wartung des Experiments bei; zwei weitere Doktoranden werden Ende Dezember 2010 zum Südpol fliegen. Die Arbeitsgruppe wird von Univ.-Prof. Dr. Lutz Köpke und Univ.-Prof. Dr. Heinz-Georg Sander vom Institut für Physik der JGU geleitet. Univ.-Prof. Dr. Lutz Köpke, der unter anderem die Datenanalysen des Experiments koordiniert hat, blickt gespannt in die Zukunft: "Nun hat IceCube seine volle Empfindlichkeit erreicht und wir hoffen alle auf die Explosion einer Supernova in unserer Milchstraße und die Entdeckung einer weit entfernten Quelle hochenergetischer Neutrinos. Die Voraussetzungen dafür sind gut: Bereits jetzt haben wir fast 100.000 Neutrinos registriert, die in der Erdatmosphäre erzeugt wurden, darunter solche mit Energien bis zu 400.000 Milliarden Elektronenvolt. Das ist etwa tausendmal höher als die Energien von Neutrinos, die an Beschleunigern auf der Erde erzeugt werden."
Das IceCube-Team besteht aus 260 Wissenschaftlern aus 36 Forschungsinstitutionen in acht Ländern. Neben Forschern aus den USA, Deutschland, Schweden und Belgien (den Ländern, die IceCube finanziert haben) beteiligen sich auch Wissenschaftler aus Großbritannien, Japan, Neuseeland, Barbados und der Schweiz an der Datenanalyse. Die Leitinstitution des Projekts ist die University of Wisconsin in Madison, USA. Aus Deutschland sind beteiligt: das Deutsche Elektronen-Synchrotron DESY, die Universitäten RWTH Aachen, Humboldt-Universität zu Berlin, Bochum, Bonn, TU Dortmund, Mainz und Wuppertal sowie das Max-Planck-Institut für Kernphysik in Heidelberg. Die deutschen Teilnehmer haben neben einem Viertel der optischen Module einen wesentlichen Teil der Empfangselektronik an der Eisoberfläche beigesteuert.
Der deutsche Beitrag von etwa 18 Millionen Euro wurde durch Mittel des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), der Helmholtz-Gemeinschaft, der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und über die Grundausstattungen der beteiligten Universitäten finanziert.
Petra Giegerich
Kommunikation und Presse
Johannes Gutenberg-Universität Mainz