Februar
Stromausfall – und dann?
Sicherheitsforscher identifizierten Schwachstellen im Katastrophenmanagement
Die Gesellschaften des 21. Jahrhunderts werden in stetig zunehmendem Maße abhängig von Elektrizität. Fast alle Lebensbereiche benötigen mittlerweile Strom, um die anstehenden Aufgaben zu bewältigen und um zu funktionieren. Doch womit ist zu rechnen, wenn diese Stromversorgung plötzlich tagelang ausfällt? Die Universität Witten/Herdecke hat nun im Rahmen des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) finanzierten Forschungsprojektes „Prioritätenbildung bei Rettungsmaßnahmen“ die Problematik eines lang anhaltenden Stromausfalls aufgegriffen und mit Experten aus Behörden, Hilfsorganisationen, Wissenschaft und Wirtschaft im Rahmen eines zweitägigen Workshops diskutiert.
Lebensmittelversorgung: „Keiner weiß nichts Genaues“
Im Workshop standen speziell die Anfälligkeit der Stromversorgung und die Lücken der Gefahrenabwehr im Fokus. Es wurden jedoch auch mögliche Kaskadeneffekte und Einzelproblematiken, wie beispielsweise die Lebensmittelversorgung, behandelt. „Die Abhängigkeit vom Lebensmittelhandel hat in den vergangenen Jahren enorm zugenommen. Allein die Handelskette Plus bediente im Jahr 2008 ca. 2,6 Mio. Menschen am Tag.“ erklärt Dr. Helmut Grimm, Sonderbeauftragter der Tengelmann Gruppe, die Problematik. „Das ist das Paradoxe des Fortschritts: Je entwickelter unsere Gesellschaft ist, desto komplexer sind ihre Abhängigkeitsstrukturen von kritischen Infrastrukturen und damit auch von der Stromversorgung“, so Dr. Grimm. Hinzu kommt, dass die Privatwirtschaft ihre eigenen Ziele verfolgt, die eher in einer auf Effizienz ausgelegten „Just in Time“-Logistik liegen als in der Versorgungssicherheit. Eine weitere Schwierigkeit, die Grimm mit den Worten „Keiner weiß nichts Genaues“ umschreibt, liegt in der Tatsache, dass die meisten Akteure sich ungern in die Karten schauen lassen, wenn es um Ihre Sicherheitsvorsorge geht.
Katastrophenmanagement selbst abhängig vom Strom
Der Ausfall der Stromversorgung würde verheerende Folgen für die Bevölkerung haben, was zeigt, dass diese Infrastruktur einer der anfälligsten Bereiche der Gesellschaft ist und somit einen sicherheitsrelevanten Faktor darstellt. Ein Beispiel hierfür ist der Stromausfall im Münsterland am 25. November 2005. Da die betroffenen Institutionen des Bevölkerungsschutz ebenfalls auf Elektrizität angewiesen sind, müssen sie im Falle eines Stromausfalles einer doppelten Herausforderung begegnen: „Der Gedanke des vernetzten Katastrophenschutzes wird dann zum Trugbild der Lösungsmöglichkeiten eines Stromausfalles“, sagt Dr. Thomas Petermann, ehemaliger stellvertretender Leiter des Büros für Technikfolgen-Abschätzung des Deutschen Bundestages. „Insbesondere die zunehmende Vernetzung von Instrumenten der Informations- und Kommunikationstechnologie verstärkt diese Abhängigkeit“, so Petermann, in dessen Studie sich abzeichnet, dass die Informations- und Kommunikationstechnologien die höchste „Kritikalität“, also das höchste Maß an Bedeutung für andere Sektoren im Falle eines Ausfalles, aufweist.
Kooperation beginnt vor dem Ernstfall
Prof. Dr. Hans-Jürgen Lange, Lehrstuhlinhaber des Lehrstuhls für Politikwissenschaft, Sicherheitsforschung und Sicherheitsmanagement an der UW/H, sieht ein entscheidendes Verbesserungspotential des Managements eines großflächigen Stromausfalles in dem frühzeitigen Ansatzpunkt der Kooperation der Akteure untereinander und nicht erst nach Eintritt des Ereignisses. „Die Kooperation der Akteure im Informationsaustausch muss ständig stattfinden, alle Ebenen müssen im Austausch zueinander stehen“. Zukünftig muss man zudem verstärkt ein mögliches Verhalten der Bevölkerung in Notsituationen untersuchen, „denn die Bevölkerung ist keine homogene Gruppe. Das Verhalten wird sich nach unterschiedlichen Kriterien richten, die wir näher erforschen müssen“, so Lange. Das Sicherheitsforschungsprogramm der Bundesregierung leiste hier einen wichtigen Beitrag, Schwachstellen innerhalb der Gefahrenabwehr aufzuzeigen und Lösungsmodelle zu erarbeiten.
Jan Vestweber
Pressestelle
Universität Witten/Herdecke