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20:42 MOSKAU, (Juri Saizew für RIA Novosti). Roskosmos will in den kommenden Tagen eine Ausschreibung über den Bau einer neuen Trägerrakete bekannt geben.

Die neue Rakete soll zukünftig vom neuen Kosmodrom Wostotschny (Gebiet Amur) gestartet werden. Den Erlass über einen neuen Weltraumbahnhof hatte Russlands Präsident Wladimir Putin im November vorigen Jahres unterzeichnet. Inzwischen haben sich die Entwicklung eines neuen Startsystems, zu dem zweifellos der seit gut zehn Jahren in Entwicklung befindliche Raketen-Komplex "Angara" gehört, der Bau eines neuen Weltraumbahnhofs im Fernen Osten und die Projektierung neuer bemannter Raumschiffe zu einem gemeinsamen Problem der russischen Raumfahrt ausgewachsen, das bisher nur mühsam gelöst wird.

Wie der Erste Vizepremier Sergej Iwanow sagte, soll der Ort des neuen Kosmodroms 2009 endgültig festgelegt werden. Ab 2013 werden dort automatische Raumflugapparate und ab 2018 Kosmonauten ins All starten. "Das wird ein völlig neues Objekt sein, bestimmt für eine Technik, die noch nicht da ist, die Rede ist also von der nächsten Generation der Trägerraketen", betonte Iwanow.

Wenn dem so ist, rufen die bekannt gegebenen Termine für den Beginn des Betriebs des Kosmodroms Zweifel hervor. In diesem Zusammenhang sei an den längsten "verschleppten Bau" in der Geschichte der einheimischen Raumfahrt erinnert: an die Schaffung des kosmischen Raketenkomplexes (KRK) "Angara", der gerade für das neue Kosmodrom bestimmt ist.

Seine Geschichte begann 1992, als mit dem Zerfall der UdSSR die Erkenntnis kam, dass Russland keinen unabhängigen Zugang zur Raumfahrt mehr hatte. Das Kosmodrom Baikonur, von dem aus die schwere Trägerrakete "Proton" gestartet und die Verteidigungssatelliten (Systeme zur Warnung vor einem Raketenkernwaffen-Angriffen, Nachrichtensysteme und andere) in eine geostationäre Umlaufbahn gebracht werden konnten, befand sich nun im unabhängigen Kasachstan. Jetzt musste Russland bei den Kasachen das Kosmodrom für 115 Millionen Dollar im Jahr pachten. Es ging jedoch nicht einmal ums Geld, sondern darum, dass die nationale Sicherheit des Landes in Abhängigkeit vom Willen eines anderen Staates geraten war.

Die Arbeiten am KRK der schweren Klasse "Angara" wurden durch eine Verordnung der russischen Regierung vom 15. September 1992 initiiert. Lange Zeit gab es Schwankungen in Bezug auf den Aufstellungsort des Komplexes. Letztendlich entschied man sich für das Kosmodrom Plessezk, das einst als eine der ersten Gefechtsstartstellungen für interkontinentale ballistische Raketen (ICBM) diente. Der größte Mangel des Kosmodroms ist der geographische Breitengrad, an dem es liegt.

Am günstigsten ist es, von Orten in der Nähe des Äquators in den Orbit zu starten. Dadurch wird beim Einsatz einer Trägerrakete ein beinahe doppelter Gewinn an Gewicht des zu startenden Raumapparats erzielt. Aber bei der Wahl des Ortes für die ICBM möglichst nahe an den potentiellen Gegner - die Raketen hätten über den Nordpol hinweg fliegen sollen - nahmen die sowjetischen Militärs nicht an, dass einst von Plessezk aus Satelliten starten würden. Jedoch hielt man - völlig begründet - den Bau eines Startplatzes für "Angara" praktisch mitten in einer Wüste in den 90er Jahren des vorigen Jahrhunderts für viel zu teuer. Ebendeshalb entschied man sich schließlich für Plessezk, wo damals schon eine recht gut entwickelte Infrastruktur bestand.

1994 siegte bei dem Wettbewerb um die kosmischen Raketenkomplexe das Chrunitschew-Zentrum mit seinem Projekt "Angara-26" (die Zahl 26 bedeutete das Gewicht der Nutzlast, das Erdumlaufbahn gebracht wurde). Der Bau des Raketenkomplexes wurde durch einen Erlass des Präsidenten im Januar 1995 und eine Verordnung der Regierung am August desselben Jahres besiegelt. Jedoch gelang es bis dahin, die Fragen der Nutzung von Baikonur zu regeln. Damit brauchte die russische Luft- und Raumfahrtbehörde Rosaviakosmos "Angara" eigentlich nicht so sehr: Der Bedarf war mit der bestehenden Reihe der Trägerraketen ganz gut gedeckt. Interessent waren nur die Militärs: Sie hielten es nach wie vor für notwendig, einen unabhängigen Zugang zur Raumfahrt zu gewährleisten. Doch ihre Unterstützung für das Projekt war eher moralisch. Die Arbeiten wurden hauptsächlich aus den Geldmitteln des Chrunitschew-Zentrums finanziert.

Im Zuge der Entwicklung des Angara-Komplexes hatte es einige radikale Änderungen im Konzept gegeben. Ursprünglich war geplant, den Träger mit zwei Triebwerken - beide praktisch Serienproduktion - auszustatten: einem Sauerstoff-Kerosin-Triebwerk von der ersten Stufe der Trägerraketen "Zenit" und "Energija" und einem Sauerstoff-Wasserstoff-Triebwerk vom Zentralblock der "Energija". Dann wurde beschlossen, zu einem neuen Sauerstoff-Kerosin-Triebwerk und später zu einem mit höherer Schubkraft überzugehen. Die Entwicklung dieses Triebwerks mit überaus guten Schubeigenschaften, die formal auf bereits Vorhandene basierte, startete praktisch aber vom Nullpunkt an, stieß auf zahlreiche technische Schwierigkeiten.

Später zog man für die Rakete die Blockbauweise vor: Ihrem Bau wurde das so genannte universale Raketenmodul (URM-1) zugrunde gelegt. Es sei gesagt, dass gegen 1995 die Entwicklungsprognosen für kommerzielle Starts sehr optimistisch waren. Der Modulbau aber ermöglichte es, aus einem geringen Satz von universalen Modulen Trägerraketen von verschiedener Tragfähigkeit - von der leichten bis zur schweren Klasse - zu schaffen. Das schien somit die optimale Lösung für die Eroberung des Marktes von Startleistungen. Indes gingen die Wirklichkeit und die Vorhersagen beträchtlich auseinander, besonders in Bezug auf die Nachfrage nach leichten Raketen. Dabei machen die Entwicklungskosten des Trägers bei geringer Anzahl von Starts den größten Anteil ihrer Preise aus. Deshalb erwies sich der für "Angara" angenommene Modulbau als zu kostenintensiv und zeitaufwendig, da es gleich einen ganzen Satz der Raketenkomponenten erforderte.

Außerdem wirkt sich die Vereinheitlichung direkt auf das Massenverhältnis des Erzeugnisses aus, und zwar nicht eben positiv. Daraus ergab sich die Notwendigkeit, statt der schweren und mittelschweren Zweistufen- nun Dreistufenraketen zu bauen. Jede zusätzliche Stufe bedeutet jedoch nicht nur geringere Sicherheit (nach der Zahl der autonomen Modulen übertrifft die schwere "Angara"-Rakete selbst "Proton"), sondern auch Bereitstellung von Gebieten, in denen die verbrauchten Stufen niedergehen können.

Aber auch das ist noch nicht alles. In der ursprünglichen Variante wurde davon ausgegangen, "Angara" vom Startkomplex der Trägerrakete "Zenit-2", der in Plessezk errichtet wurde, ins All zu bringen, und dazu war hauptsächlich nur eine Perfektionierung seiner Infrastruktur nötig. Für den Start der Trägerraketen aller Klassen, von der leichten bis zur schweren, war jedoch ein universaler Startkomplex erforderlich. Das ist ein völlig neues Bauvorhaben (wenn auch die Infrastruktur der "Zenit"-Rampe teilweise genutzt werden konnte). Erst 2006 konnte im Maschinenbaubetrieb "Swjosdotschka" in Sewerodwinsk eine Startplattform für die Trägerrakete "Angara" aller Klassen hergestellt werden.

Zwecks Risikoverminderung plant man, die Flugtests des Raketen-Komplexes mit dem Start der leichten Trägerrakete "Angara-1.2" (im Jahr 2011) einzuleiten. Aber schon beim zweiten Start soll, wie erwartet wird, eine schwere Rakete an die Reihe kommen. Allerdings geschieht das nicht vor 2012. Folglich wird der ganze Zyklus des Baus des Raketenkomplexes "Angara" - von der Regierungsverordnung bis zum Start - praktisch 20 Jahre in Anspruch nehmen. Wobei zu betonen ist, dass das Projekt seit 2004 aus dem Staatshaushalt genau nach Zeitplan und in vollem Umfang finanziert wird.

Wahrscheinlich hätte sich die russische Regierung über ein neues Kosmodrom auf dem eigenen Territorium keine Gedanken gemacht, hätte es keine Schwierigkeiten in den Beziehungen zu Kasachstan in Bezug auf Baikonur gegeben. Erst vor kurzem kam es zu einem erneuten Skandal und einem finanziellen Prozess wegen dem Absturz der Trägerrakete "Proton".

Aber die Zeit drängt. Zweifellos wird Russland früher oder später ein neues, weiter südlich als Plessezk gelegenes Kosmodrom brauchen, damit das einheimische Raumfahrtprogramm voll und ganz im Land bleibt.

Im Grunde ist alles, was in den vergangenen 15 Jahren mit diesem Programm geschieht, eine logische Folge des Zerfalls der UdSSR, und die Situation beginnt erst, sich halbwegs einzurenken. Der Erste Vizepremier Sergej Iwanow erklärte: "Heute haben wir Russland einen unabhängigen Zugang zum Weltraum bereits garantiert, damit jeder Raumapparat militärischer Bestimmung vom Kosmodrom Plessezk gestartet werden kann." Das stimmt jedoch nicht. Bis zum Beginn des Betriebs des "Angara"-Systems ist es nach wie vor unmöglich, vom nördlichen Weltraumbahnhof sowohl zivile als auch militärische Raumapparate in die geostationäre Umlaufbahn zu bringen. Zur Zeit können von Plessezk aus Satelliten nur in niedrige Erdumlaufbahnen gestartet werden.

Unbegreiflich ist außerdem, wozu die Beamten unerreichbare Termine nennen. Unbegreiflich erst recht deshalb, weil der nur langsam vor sich gehende Bau des Kosmodroms Wostotschny eigentlich kein Grund zum Traurigsein ist. Eher umgekehrt: Der schon zitierte Sergej Iwanow erklärte: "Ein Kosmodrom ist eine sehr ernsthafte Sache. Das ist nicht einmal so, wie einen Wohnbezirk zu bauen. Im Grunde ist das eine neue Stadt: mit Schulen, Wohn- und Krankenhäusern, Kindergärten, mit einer entwickelten Energie- und Transportinfrastruktur."

Vielleicht wäre es auch vernünftiger, zuerst eine solche Stadt zu bauen, damit die Beschäftigten der Raketenindustrie unter normalen Bedingungen arbeiten können - und nicht wie in Plessezk Ende der 50er und selbst noch Anfang der 60er Jahre, als sie die ersten Raketen ins Diensthabende System übergaben. Damals wohnten sie in Eisenbahnwaggons und Apparateräumen des Montage- und Testgebäudes, in Baikonur gar, dessen Bau früher begonnen worden war, einfach in Hütten.

Zum Verfasser: Juri Saizew ist ordentlicher akademischer Berater der Russischen Akademie der Ingenieurwissenschaften der Russischen Föderation.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

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