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11:00 Uhr - Der Erdorbit verwandelt sich in eine große Müllhalde. Unzählige Fragmente schwirren umher und bedrohen Satelliten und Raketenstarts. Durch ihr tägliches Anwachsen steigt auch die Gefahr einer Kettenreaktion, die sogar fatal für das Leben auf der Erde sein könnte – genauer für die Telekommunikation. Es gilt, Müll zu vermeiden und aufzuräumen.

Es gibt ein konkretes Problem da draußen im All und das ist kein Asteroid, der vielleicht einmal die Erde treffen könnte. Viele Jahrzehnte der Raumfahrt sind nicht spurlos an der Erde vorbeigegangen, genau genommen an ihrem Orbit: Sie haben sich dort angesammelt in Form von nunmehr über 8000 Tonnen unkontrolliert umherschwirrendem Weltraumschrott. Das ist gleich aus mehreren Gründen ein Problem für die Erde.

Von der Kollision zur Kettenreaktion

„Die Satelliten, die wir starten, verbleiben nach dem Ende ihrer Betriebszeit im Orbit, werden dann zu Weltraumschrott. Leider ist es nicht nur so, dass die Satelliten und die Oberstufen, die die Satelliten in den Orbit bringen, dort verbleiben. Es finden auch sogenannte Fragmentierungen statt, Explosionen und Kollisionen“, erläutert Tim Flohrer, Leiter der Abteilung „Space Situational Awareness“ bei der Europäischen Raumfahrtagentur (ESA), die Müllproblematik gegenüber Sputnik. „Die führen dazu, dass wir dort mittlerweile eine sehr große Anzahl von kleinen Bruchstücken haben, die uns trotzdem gefährlich werden können, denn die bewegen sich mit so hohen Geschwindigkeiten, dass selbst Stücke von wenigen Zentimetern Größe einen intakten Satelliten komplett zerstören können.“

Bei einer ständigen Zunahme von Raketenstarts und der Kommerzialisierung von Satellitenservices für Telekommunikation und Erdbeobachtung verschärfe sich die Situation weiter. Denn derzeit sollen sich 1800–1900 aktive Satelliten im Orbit bewegen, bereits angekündigt sind aber mehrere tausend weitere.

Die Fragmentierungen bergen auch eine weit größere Gefahr, das sogenannte „Kessler-Syndrom“ - „Wenn eine bestimmte Dichte überschritten wird, kommt es zu fortgesetzten Kollisionen. Fragmente aus Explosionen und Kollisionen stoßen weiter zusammen und erzeugen noch mehr kleine Fragmente“, so Flohrer. Es finde dann ein exponentielles Wachstum statt, das kaum aufgehalten werden könnte und die Satelliten-Infrastruktur ausschalten könnte. In diesem Fall würden auch die Manöver zur Kollisionsvermeidung, die Satelliten mit Antriebssystem durchführen können, nur noch bedingt nützen.

Telekommunikation könnte zusammenbrechen

„Am Boden sind wir sehr von der satellitenbasierten Infrastruktur abhängig. Viele tägliche Anwendungen und Dienstleistungen sind irgendwo mit Satelliteninfrastruktur verknüpft“, teilt der ESA-Teamleiter weiter mit. Mehr als die Hälfte der Apps auf dem Smartphone sei etwa auf Satelliten angewiesen. Eine Kettenreaktion dort oben würde sich also auch auf den Bildschirmen und in der nunmehr schon täglichen Kommunikation über Endgeräte niederschlagen.

Aber auch der Schrott kann zuweilen auch auf die Erde herunterfallen, zumindest wenn es sich um besonders widerstandsfähige Materialien handeln, die nicht vollständig beim Eintritt in die Atmosphäre verglühen. Durch diese sei bislang zwar kein Mensch zu Schaden gekommen, aber solche Objekte wurden immerhin schon auf der Erdoberfläche gefunden.

Von Richtlinien, Harpunen und Laserkanonen

Die erste Maßnahme gegen das Problem nimmt sich sehr nüchtern aus: sich informieren. Denn es gibt Dienstleistungen, die Satellitenbetreibern bei der Navigation ihrer Technik helfen können, etwa vom Space Surveillance Network. Die Nutzung dieser Dienste sei aber nicht verpflichtend und werde auch zuweilen nicht wahrgenommen.

Es gebe auch einen ganzen Katalog an Vermeidungsmaßnahmen, die „Mitigation Guidelines“. Wenn mehr als 90 Prozent der aktiven Technikbetreiber sich an diese halten würden, käme es wahrscheinlich auch nicht zum Kessler-Syndrom. Dies werde in großen Höhen, im geostationären Orbit, mit 80-90 Prozent Befolgung der Maßnahmen fast erreicht. In den tieferen Bahnen dagegen hielten sich knapp 60 Satelliten an die Richtlinien.

Zu diesen Regeln gehöre es etwa, spätestens 25 Jahre nach Ende des Betriebs eines Satellits, den Orbit zu verlassen, in die Erdatmosphäre wieder einzutreten und den Satelliten verglühen zu lassen. Ebenso sei das Risiko für den Boden gering zu halten, in anderen Worten: Mögliche Restpartikel sollten nicht gerade über einer Großstadt niedergehen. Zudem sollte die Technik zuvor passiviert werden, die Batterien entladen, Treibstoffsreste entfernt werden. In den höheren Sphären gibt es diese Rückkehr-Option in den Orbit nicht. Dort gilt es bislang, die inaktive Technik in sogenannte „Friedhofsbahnen“ zu verschieben.

ber aufräumen wird die Menschheit mit großer Wahrscheinlichkeit trotzdem müssen: „Wir wissen aus unseren Simulationen, dass selbst bei einem hohen Grad an Vermeidungsmaßnahmen es in bestimmten Gegenden nicht ausreichen wird. Da haben wir eine Dichte erreicht, die über längere Zeit zu einem Anwachsen der Schrottpopulation führt, und gerade dort müssen wir aktiv Objekte herausnehmen. Wir müssten Missionen entwickeln, die die großen unkontrollierten Objekte herausnehmen, die das Potential haben, in viele kleine Fragmente zu zerfallen“, so Flohrer.

In der Diskussion um den geeigneten „Müllmann“ sind derzeit Netze, Harpunen, Roboterarme oder gar eine Laserkanone im Gespräch. Das Ziel der meisten Maßnahmen sei es, die Objekte zu greifen und zum kontrollierten Wiedereintritt zu bringen.

„Wir bereiten gerade einen Vorschlag für ein sogenanntes Space-Safety-Programm im Orbit vor. Dieses umfasst mehrere Punkte. Es umfasst Missionen zum Weltraumwetter: Hier geht es um die Erforschung von Techniken zur Abwehr und Ablenkung von Asteroiden. Aber es geht eben auch um Technologien zur Rückholung von Weltraumschrott-Objekten und um Technologien zur besseren Automatisierung von Kollisionsvermeidung. Da müssten wir beitragen, dass die zunehmende Verkehrsdichte in den erdnahen Bahnen mit neuen Technologien besser gehandhabt werden kann“, so Flohrer.

(Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)

 

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