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Russlands Raumfahrtbehörde Roskosmos ist entschlossen, die inzwischen verlorenen Positionen als Beförderer ins Weltall zurückzugewinnen. Hierzu wird parallel an mehreren potenziellen technischen Lösungen gearbeitet, sodass russische Trägerraketen der US-amerikanischen Mehrfach-Rakete Falcon 9 die Stirn bieten und neue Kunden gewinnen könnten.

Noch vor einigen Jahren war auf Russland fast die Hälfte aller Weltraumstarts in der Welt entfallen. In letzter Zeit muss es jedoch um seinen Platz auf diesem Markt bangen: Wegen mehrerer Havarien bei bzw. gleich nach den Raumstarts hat Roskosmos fast alle kommerziellen Aufträge verloren, während das US-amerikanische private Unternehmen SpaceX, das allerdings die Unterstützung der Regierung in Washington genießt, die freigewordene  Nische auf dem Markt einnehmen konnte und sich inzwischen über einen Marktanteil von mehr als 60 Prozent freuen darf. Aktuell startet die Firma im Durchschnitt alle zwei Wochen eine neue Rakete, und 2017 hätte sie nach der Gesamtzahl der Weltraumstarts beinahe Russland überholt.

Doppelschlag

Das Raumfahrtforschungszentrum „Michail Chrunitschew“, dessen Raketen „Proton“ vor der Entstehung von SpaceX auf dem Raumstartmarkt dominiert hatten, bereitet für seinen Hauptkonkurrenten gleich zwei Antworten vor: Erstens werden die schweren „Proton“-Raketen künftig aus nur zwei Stufen bestehen (und dementsprechend billiger sein) und zweitens wird aktuell eine Mehrfach-Modifikation der leichten Rakete „Angara“ entwickelt.

2016 hatte das Chrunitschew-Zentrum beschlossen, zwei Modifikationen der Rakete „Proton-M“ zu entwickeln: „Proton Mittelschwer“ und „Proton Leicht“. Die „mittlere“ Version wird keine dritte Stufe haben. Das ist eine relativ leicht machbare Aufgabe: Die Rakete muss nicht gründlich umgebaut werden, denn in den 1960er-Jahren hatten die ersten Raketen dieses Typs nur zwei Stufen.  Die wichtigsten Aufgaben sind, die Kosten eines Raumstarts möglichst zu reduzieren und die Trägerrakete den in den letzten Jahren wesentlich leichter gewordenen Satelliten anzupassen. Der erste Start der neuen, leichteren „Proton“-Modifikation ist für 2019 geplant. Die „leichte“ Version wird voraussichtlich zwei Blöcke der ersten Stufe „verlieren“, damit die Ausgaben für den Raketenstart noch geringer werden. Jetzt kostet ein Start der aktuellen dreistufigen „Proton“-Rakete mehr als eine „Falcon  9“-Rakete kostet: 65 Milliarden Dollar gegenüber 61,5 Millionen Dollar.

Dabei werden die neuen „Proton“-Modifikationen nicht mit der Basisversion „Proton-M“ konkurrieren. Sie sollen gleichzeitig verschiedene Segmente dieses „Raumstart“-Marktes  bedienen, sagte man beim Chrunitschew-Zentrum.

„Die Entscheidung zur Entwicklung von zweistufigen ‚Proton‘-Modifikationen wurde angesichts der Marktkonjunktur getroffen. Die zweistufige Trägerrakete ‚Proton‘ wird der Trägerrakete Falcon 9 von SpaceX erfolgreich Konkurrenz bieten und Russland helfen, seine Marktpositionen zurückzugewinnen“, so ein Sprecher des Konzerns.

Darüber hinaus soll ihm zufolge die schwere Trägerrakete „Proton-M“ vervollkommnet werden. Unter anderem werde sie eine vergrößerte Kopfhaube bekommen, so dass eine Rakete gleich zwei vollwertige Raumapparate oder ein Cluster von kleineren Satelliten in die Erdumlaufbahn bringen könnte. Diese Modifikation werde voraussichtlich den Namen „Proton-M plus“ tragen.

Die „Angara“-Rakete wird Flügel bekommen

Darüber hinaus hat das Chrunitschew-Zentrum im vorigen Jahr gemeinsam mit dem Konstruktionsbüro „Wladimir Mjasischtschew“ und Roskosmos die Entwicklung einer Mehrfach-Rakete  der leichten Klasse „Angara-1.2“ begonnen.  Nach der Beförderung eines Satelliten in die Erdumlaufbahn soll die erste Stufe dieser Rakete auf die Erde zurückkehren, um weiter zum Einsatz zu kommen. Infrage kämen mehrere Rückkehrvarianten: mit dem Fallschirm, Landung mit eigenen Triebwerken (wie bei der „Falcon“-Rakete) oder Landung „à la Flugzeug“ – mithilfe eigener Flügel. Die letzte Variante wäre nach Auffassung der Konstrukteure optimal.

Das ist nicht der erste Versuch, die „Angara“-Rakete mit Flügeln zu versorgen. Die Entwickler stützen sich dabei auf die Forschungen in den frühen 2000er- sowie in den Jahren 2011 bis 2013. Damals wurde die Entwicklung einer Flügelrakete aus wirtschaftlichen Gründen als zwecklos eingestuft. Was diesmal möglich wäre, soll demnächst klar werden, wenn das Chrunitschew-Zentrum sein Projekt der zuständigen Militärindustrie-Kommission präsentieren wird.

„Die Entwicklungsarbeiten gehen weiter. Ihre Ergebnisse werden dem Auftraggeber später präsentiert“, so der Konzernsprecher.

Die neue „Sojus“-Rakete

Auch die Korporation „Energija“, die einst vom Raketenkonstrukteur Sergej Koroljow gegründet wurde, will wieder Trägerraketen bauen. Ausgerechnet sie hatte die Raketengattung „Wostok“ konstruiert, mit denen der erste sowjetische Satellit „Sputnik“ und der erste Kosmonaut der Welt, Juri Gagarin, ins All befördert wurden. Auch die meistgebauten Raketen der Welt, die „Sojus“-Familie, wurden von „Energija“-Ingenieuren entwickelt. Die neueste Rakete der Mittelklasse wird den Namen „Sojus-5“ tragen.

Die Entwicklung hatte 2017 begonnen, und schon im April 2018 präsentierte „Energija“ das vorläufige Projekt der Raumfahrtbehörde. Planmäßig soll die erste neue Rakete 2022 vom Weltraumbahnhof „Baikonur“ ins All gestartet werden. Mit „Sojus-5“-Raketen sollen sowohl Kosmonauten bzw. Astronauten zur Internationalen Raumstation (ISS) als auch Satelliten in die Erdumlaufbahn transportiert werden.

„Was die kommerzielle Attraktivität und die Preise für den neuen Raketenkomplex angeht, so orientieren wir uns an ungefähr 56 Millionen Dollar für den ganzen Komplex von Dienstleistungen zum Raumstart“, sagte der Generaldirektor der Korporation, Wladimir Solnzew, gegenüber RIA Novosti. „Bei SpaceX beträgt der Preis aktuell 62 Millionen Dollar. Die Welt bleibt nicht stehen: Elon Musk verspricht schon jetzt eine Preissenkung auf 48 Millionen Dollar, und der Trend wird weiter nach unten gehen. Auch wir verfolgen die Aufgabe zur Preissenkung für ‚Sojus-5‘-Trägerraketen, (…) damit wir konkurrenzfähig bleiben.“

Darüber hinaus soll das neue „Sojus“-Modell in den 2020er-Jahren die Trägerraketen „Senit“ ablösen, die vom „Wasser-Weltraumbahnhof“ „Sea Launch“  gestartet werden, der im Jahr 2016 von der Unternehmensgruppe S7 gekauft wurde.

„Wir versuchen zum ersten Mal in Russland, im Rahmen einer staatlich-privaten Partnerschaft gemeinsam mit dem Unternehmen S7 eine Trägerrakete auf der ‚Sojus-5‘-Basis zu entwickeln, die vor allem von der Bohrplattform ‚Sea Launch‘ gestartet werden könnte“, sagte der „Energija“-Chef  Solnzew.  Nach seinen Worten sollen die Passagier- und die Frachtmodifikation der Rakete „maximal unifiziert“ sein.

Vertreter des Konzerns schließen nicht aus, dass auch eine Mehrfach-Version der „Sojus-5“-Rakete konstruiert werden könnte. Dieser Weg zur künftigen Senkung der Selbstkosten der Rakete stehe in der Diskussion. Es werden wiederum verschiedene Möglichkeiten für die Rückkehr auf die Erde besprochen: Landung der ersten Raketenstufe mit dem Fallschirm, Düsen-Landung nach dem „Falcon 9“-Muster oder die Fallschirmlandung der Triebwerke, auf die etwa 30 Prozent des gesamten Preises der Trägerrakete entfallen.

„Vor uns steht die Aufgabe, abermals die Möglichkeiten der Rückkehr der Rakete auf die Erde zu analysieren“, so Solnzew. „Aber vorerst ist diese Arbeit eher fakultativ: Wir müssen überprüfen, ob dies überhaupt zweckmäßig wäre, denn die Lösung von gewissen  funktionsbezogenen Aufgaben ist nur durch die Senkung der Nutzlast möglich. Wir müssen verschiedene technische Varianten der Lösung dieser Aufgabe erwägen.“

Die „Krone“ des russischen Raketenbaus

Den Auftrag zur Entwicklung einer Mehrfach-Rakete hat auch das Staatliche Raketenbauzentrum „Viktor Makejew“, das für seine Interkontinentalraketen „Sarmat“ und seegestützte ballistische Raketen „Sinewa“ und „Lainer“ bekannt ist. In den vergangenen Jahren befassten sich seine Konstrukteure mit der Mehrzweck-Rakete „Korona“. Sie sei einstufig und soll daher vollständig auf die Erde zurückkehren – und nicht als erste Stufe, wie bei SpaceX oder Blue Origin.

Ein Unternehmenssprecher teilte RIA Novosti mit, dass die nötigen „technischen und wirtschaftlichen Analysen“ durchgeführt worden seien und „ein effizienter Entwicklungsplan der Trägerrakete“ festgelegt worden sei.

Die neue Rakete soll planmäßig aus hochtemperaturbeständigen Verbundstoffen gebaut werden. Dann wäre sie leicht genug und könnte hohen Belastungen während des Flugs standhalten. Nach der Beförderung des Satelliten in die Erdumlaufbahn würde die Rakete aus eigener Kraft auf die Erde zurückkehren und auf ausklappbaren Beinen landen – wie die „Falcon“-Rakete. Und schon einen Tag später – nach entsprechender technischer Wartung – wäre die „Korona“ wieder einsatzbereit.

Die „Korona“-Konstrukteure erwarten, dass eine Rakete mindestens 25 Mal ins All fliegen könnte. Und einige Elemente könnten mindestens 100 Mal eingesetzt werden.

Die Rakete dieses Typs wird voraussichtlich bis zu sieben Tonnen Nutzlast in eine niedrige Erdumlaufbahn bringen können. Bei der Mehrfach-Rakete Falcon 9 liegt diese Zahl bei 13 Tonnen.

„Unsere Trägerrakete ‚Korona‘ hat im Unterschied zur amerikanischen ‚Falcon‘ keine trennbaren Stufen und ist de facto ein ‚sanftes Start- und Landungs-Raumschiff, was den Weg zur Umsetzung von fernen interplanetaren bemannten Flügen frei macht“, sagte der Generaldirektor des Makejew-Zentrums,  Wladimir Degtjar, gegenüber RIA Novosti.

(Quelle: Sputnik Deutschland / Copyright © Sputnik)

 

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