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In der CQDL vom März 2001 ist wieder einmal das Thema Notfunk angesprochen worden. An einem Beispiel aus England wurde dokumentiert, wie so etwas funktionieren kann, wenn Amateurfunker und Behörden "eine Sprache sprechen".
Und über das Notrufsystem z.B. in Kanada oder den USA will ich mich erst gar nicht auslassen.
Ich möchte an dieser Stelle über ein Erlebnis berichten, das einer Gruppe von Funkamateuren widerfahren ist und das die Situation in Deutschland ein bißchen beleuchtet. Die Story ist authentisch aber Namen und Handlungsort wurden auf Bitten der betroffenen Personen verändert.


Der Einfachheit halber wird in der "wir"-Form erzählt.
Handlungsort ist ein Naherholungsgebiet mit einem großen See auf der einen Seite und einem Landschaftsschutzgebiet (ausgedehnte Sumpfgebiete) auf der anderen Seite dieses Landstriches in Deutschland. In etwa 2 km Entfernung befindet sich ein kleines Städtchen mit großzügigen Gartengrundstücken, die teilweise bis an das Seeufer heranreichen. Auf der Grenze zwischen Naherholungsgebiet und Landschaftsschutzgebiet hat die Landschaft einen Berg, mehr einen Huckel, geformt.
Die besagte Gruppe von Funkamateuren, 4 Männer und zwei Frauen, hatte an einem schönen Sommerwochenende dort ihr Field-Day-Lager aufgebaut und so ordentlich Betrieb gemacht.

Nicht weit davon entfernt gibt es eine kleine Bungalowsiedlung, in der normalerweise Urlauber untergebracht waren. Zu diesem Zeitpunkt waren dort aber eine Gruppe behinderter Kinder mit ihren Betreuern eingezogen. Der Weg zu den Bungalows führte an der Lagerstätte der Funkamateure vorbei. So hat es auch niemanden weiter verwundert, dass da ein kleiner Junge vorbei lief. Dieses geschah öfter und manchmal blieben die einen oder anderen stehen, um zu schauen, was die Funker dort so treiben.

Da es von diesem Standort nicht weit zum Wasser ist, gingen die OM's bzw. XYL's, die nicht am Gerät saßen, ans Wasser. Wir waren gerade auf dem Weg dort hin, als uns ein PKW entgegen kam. Er hielt auf unserer Höhe und eine Frau, die am Steuer saß, fragte ob wir nicht einen kleinen Jungen gesehen hätten, der soundso aussähe. Wir bestätigten das und konnten auch noch die Richtung angeben, in der er sich bewegt hatte. Die Frau bedankte sich und rauschte in die angegebene Richtung davon. Sie wirkte irgendwie nervös.
Wir waren bereits wieder auf dem Rückweg zu unserem "Funkerberg", als uns der PKW mit dieser Frau wieder begegnete. Sie hielt abermals an, kurbelte das Fenster runter und jetzt war es ganz offensichtlich: Die Frau war dem Verzweifeln nahe! Wir mussten keine Fragen stellen, es sprudelte aus ihr heraus. Und mit den Worten kamen auch die Tränen und die sagten mehr als Worte.

Wie schon gesagt, es handelte sich um eine Gruppe von behinderten Kindern, die hier mit ihren Betreuern zusammen eine Woche in dieser herrlichen Umgebung verbringen wollten. Die Behinderung dieser Kinder ist hauptsächlich geistiger Art, aber ein relativ niedriger Grad. Die meisten Kinder waren durchaus kommunikativ und umgänglich. Es gab zwei Ausnahmen und die eine Ausnahme, dieser Junge, ist bei einem kleinem Moment Unaufmerksamkeit einfach ausgebüxt. Das Problem war aber, das dieser Junge, er war 8 Jahre alt, nicht sprechen konnte. Genauer gesagt, er ist unfähig zu artikulieren. Ein weitere Ausdruck seiner Krankheit ist seine sogenannte Hypermotorik - er hat den Drang, ständig zu laufen, sich zu bewegen und das leider ziellos bzw. einfach aufs Geratewohl los, egal wohin "die Reise geht".

Jetzt wurde uns die gesamte Problematik bewusst!
Schnell liefen wir zum FD-Shack und suchten unsere Karte von der Umgebung heraus. Zur Erklärung: Immer dann, wenn wir in eine uns unbekannte Gegend fahren wollten, besorgen wir uns vorher Karten dieser Gegend.
Also, wir schauten auf diese Karte und mussten feststellen, wenn er so weiterläuft, wie wir ihn zuletzt gesehen hatten, ist er in gut 30 Minuten im Sumpfgebiet! Oh, Mann .....!
Jetzt musste schnell gehandelt werden!

Da wir auch zwei Frauen in der Gruppe hatten, übernahmen sie die "psychologische Betreuung" der gestressten Begleiter und ihre Kindergruppe. Sie bekamen ein Handfunkgerät und blieben so mit uns in Verbindung. Wir übrigen teilten uns in zwei Gruppen:
1. Seeufer u. Gartenanlage
2. Kanal und Sumpfgebiet
Per Handy blieben wir ständig in Verbindung.
Die Suche wurde per PKW und zu Fuß durchgeführt. Jede Person, die wir unterwegs trafen, wurde befragt, jeder Garten, jede offene Haustür wurde erkundet. Im Wald und am Kanal gestaltete sich die Suche besonders schwierig, denn wir mussten die Größe des Kindes einkalkulieren und das bedeutet, dass es Wege gehen konnte, die ein Erwachsener nicht gehen würde.

Die Zeit verlief und wir hatten immer noch kein Erfolg. Die 30 Minuten waren schon vorüber und es machte sich ein unheimlich schlechtes Gefühl in der Magengegend breit.
Per Funk hatten wir erfahren, das die Betreuer sich dazu entschlossen hatten, die Polizei zu alarmieren. Wie wir später erfahren hatten, war sie auch nach ca. 15 Minuten vor Ort und hatte bereits ein Fahndungsfoto von dem Jungen dabei. Das hatte mich echt überrascht - alle Achtung, das ging wirklich schnell.

Nach 45 Minuten meldete sich die Gruppe "Seeufer" über Funk, sie hätten einen kleinen Jungen gefunden, der gerade in Richtung Seeufer lief. Erregter Funkverkehr:..... Identifizierung....Kleidung? Ja.... ansprechen mit Robert .... positiv...reagierte sofort..wirklich 8 Jahre?.... sieht aus wie 5.... ok,ok.....will unbedingt mitfahren....ja, positiv.....er fährt gerne Auto..... wir bringen ihn....roger,roger!

Da wir selbst auch noch unterwegs waren, haben wir uns die Reaktion der Frauen später erzählen lassen. Jedenfalls, als wir in der Bungalowsiedlung ankamen, war ein großes Polizeiaufgebot da. Die Verwaltung der Bungalowsiedlung, die Angestellten, alle redeten und überall freundliche Gesichter. Die Polizei war natürlich froh, dass alles glimpflich verlaufen sei. Die verantwortliche Begleiterin lag unserem erfolgreichen Suchtrupp tränenüberströmt in den Armen, diesmal aber waren es Freudentränen.
Und der kleine Ausreißer Robert fand das alles ganz toll.........

Die Polizei bedankte sich, wahrscheinlich für einen eingesparten Großeinsatz, und räumte unverrichteter Dinge wieder das Feld. Was mag bei denen im Einsatzbuch stehen? Funkamateure lösten den Fall.... wohl kaum !

Es war auch völlig egal, wir fühlten uns unheimlich gut. An dem Nachmittag war an Funken nicht mehr zu denken. Irgendwie waren wir alle stolz darauf, im richtigen Moment an der richtigen Stelle gewesen zu sein. Aber jeder hatte auch im Hinterkopf so einen schwachen Schimmer: Was wäre, wenn nicht.............!

Einige Wochen waren inzwischen vergangen, da kam plötzlich Post aus einem Kinderheim für behinderte Kinder in Mecklenburg-Vorpommern: Ein offizieller Dankesbrief aus dem Heim, aus dem der kleine Robert kam.
Und in diesem Brief wurde die Gruppe der Funkamateure auch so genannt. Das ging runter wie Öl..... Klar, wir hätten auch so gehandelt, wenn wir Schornsteinfeger wären, aber wir waren deshalb "zufällig" vor Ort, weil wir eben Funkamateure sind und dort Betrieb gemacht hatten!"

Und jetzt komme ich auf die Notfunk-/Katastrophenfunk wieder zurck.
Natürlich ist das ein Zufall gewesen, dass Funkamateure ausgerechnet dort waren, wo das o.g. passierte. Aber ist es nicht so, dass Amateurfunker, in der Regel durch den Wohnsitz bedingt, über das ganze Land relativ gleichmäßig verstreut sind.
Ein Standortvorteil also.
Oftmals ist es auch so, dass Funkamateure sich in Gegenden aufhalten, in die sich andere Menschen gar nicht oder sehr selten begeben. Das hängt damit zusammen, dass sehr gute Funkbedingungen oftmals dort zu finden sind, wo der Mensch keine so guten Aufenthaltsbedingungen vorfindet, um dort länger zu verweilen oder ansässig zu werden, z.B. auf hohen Bergen oder in extremen Klima- oder Wettersituationen.

Funkamateure haben oft gute kartografische oder topographische Kenntnisse aus den o.g. Gründen.
Ihre Stationen sind meistens auch ohne öffentliches Stromnetz betreibbar, weil mobile Stromaggregate oder Batteriesysteme vorhanden sind.
Wenn es aus Alters- oder Krankheitsgründen nicht gerade begründet ist, sind Funkamateure sehr mobil, ein oder sogar zwei Autos sind vorhanden.
Und es gäbe noch mehr Gründe, die gerade die Funkamateure als besonders prädestiniert erscheinen lassen, in Not- bzw. Katastrophen-Informationssystemen mitzuwirken.

Wie sieht es in Deutschland aus? Braucht DL überhaupt so ein System?
Man sollte sich mal vor Augen halten: DL ist kein Flächenland. Es ist sehr dicht besiedelt, hoch industrialisiert und verkehrs- sowie informationstechnisch so gut und dicht erschlossen, wie nur wenige Länder in der Welt. Die kommerziellen Funkdienste sind mehr als flächendeckend, z.B. BOSS.
Wir leben in einer gemäßigten Klimazone und Vulkane und Erdbeben gibt es nach heutiger Kenntnis vorläufig auch nicht. Die Entfernung zu irgend einer zivilisatorischen Einrichtung (Wohnhäuser, Straßen, industr. Anlagen u.ä.) sind selten mehr als 20 km.
Also, aus rein sachlicher Betrachtung sind solche Bestrebungen im Rahmen des Amateurfunkdienstes für DL in der Tat überflüssig.

Ganz anders sieht die Situation aber aus, wenn wir Europa betrachten oder nur die Länder der EU. Hier ergeben sich plötzlich ganz andere Dimensionen: Von Lappland bis zum Mittelmeer, von der Atlantikküste bis zur Grenze nach Rußland oder der Ukraine, verschiedene Klimazonen, unterschiedliche geographische, wirtschaftliche und soziale Bedingungen.
In diesem Rahmen gesehen entstehen natürlich ganz andere Kriterien für unabhängige mobile Not- oder Katastrophen-Informationssysteme.

Ich denke, erst in solch einem Rahmen sollte man derartige ernsthafte Bemühungen unterstützen. Man kann die Sache natürlich auch weltweit betrachten. Es wäre doch denkbar, dass bestimmte Frequenzen für Notfunk freigehalten werden oder wenigstens primäre Zuweisung bekommen. Aber das ist ja national kaum zu machen und international ist das überhaupt nicht zu regeln. Es gibt ja schon ähnliche Regelungen, aber die sind auch nur deshalb akzeptiert, weil sie eine Art Tradition haben, eben gewachsen sind, weil wirtschaftliche Interessen dahinter stehen (man denke nur an den Schiffs- und den Flugverkehr) oder eine starke Administration es durchsetzt.
Soweit die äußeren Bedingungen........ .

Wie sieht es aber mit der persönlichen Bereitschaft der Amateurfunker aus?
Natürlich gibt es ein paar Enthusiasten, die sofort "ja" sagen würden, aber im Ernstfall reichen die nicht. Prüfe sich doch jeder mal selbst, ob er bereit wäre unter unbestimmten inneren oder äußeren, in der Regel, widrigen Bedingungen am Funkgerät auszuharren. Wie sieht es mit der Funkdisziplin aus? Man müsste sich hier an bestimmte "Spielregeln" des kommerziellen öffentlichen Betriebsdienstes halten - man muss sie erstmals kennen. Vielleicht noch Lehrgänge oder so... Wer bezahlt das? Woher nehme ich die Zeit? Doch nicht etwa Urlaub....? Eventuell müsste man seine Familie verlassen oder zu mindestens zeitweilig als 2.Tagesordnungspunkt behandeln. Würde die Familie da überhaupt mitmachen?

Ein aktuelles Beispiel aus jüngster Vergangenheit: Die Millenium-Crash-Bereitschaft.
Hier wurde, wie Ihr alle ja wisst, auch darum gebeten, dass Amateurfunker sich für Bereitschaftsdienste melden sollten.
Ja, es gab einige, die sich gemeldet hatten, aber es waren wesentlich weniger, als erwartet. Man könnte sich jetzt streiten, ob dieses ein gutes Beispiel ist, aber ich meine, hier gab es objektiv wenig Grund für katastrophale Szenarien, die eigene Befindlichkeit war nicht betroffen. Man konnte mit ziemlicher Sicherheit davon ausgehen, dass man am nächsten Tag nur mit dem eigenen Kater als das "katastrophalste Problem" beschäftigt sein wird.

Warum haben sich denn so wenig gemeldet? Na, weil .......weil........., da sind ja genug andere........kommerzielle......und außerdem.........gibt es um 12.00Uhr Mittag ....um 15.30Uhr gibt es Kaffee... um 19.00Uhr gibt's Abendbrot...ich habe gar keine Zeit.........! Ok, lassen wir das!

Ein letztes Wort dazu: Die Notfunk- bzw. Katastrophen-Informationssysteme in DL kommen auch ohne den Amateurfunkdienst aus. Davon kann man schon ausgehen.
Unabhängig davon sollte ein Funkamateure immer bereit sein, seine Technik und seine Fähigkeiten bei regionalen und/oder überregionalen Katastrophen oder Notsituationen auch ohne ausdrückliche Aufforderung für den Aufbau von Informationslinien bereitzustellen. Und es wäre auch denkbar, dass die zuständigen Behörden und die Öffentlichkeit schlechthin dieses auch zur Kenntnis nehmen sollten.

 

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