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MOSKAU, (Juri Saizew für RIA Novosti). Die Erdbebenkatastrophe in China hat erneut gezeigt, dass Vorhersagen auf der Erde keine hundertprozentig zuverlässigen Daten liefern.

 

Die Seismologie bemüht sich seit vielen Jahren um die Antwort auf zwei Fragen: wo und wann sich das nächste Beben ereignet. Bisweilen bringen diese Anstrengungen ein Ergebnis. Bekannt ist zum Beispiel, dass in den nächsten 30 Jahren Kalifornien von der Erde verschwinden könnte. Über genauere Zeitangaben können nur Weltraumforschungen Aufschluss geben.

Bei der Bestimmung potentieller Erdbebengebiete besteht einige Gewissheit. Die meisten davon ereignen sich in zwei langen schmalen Zonen. Die eine davon umrandet den Pazifik, die zweite zieht sich von den Azoren ostwärts bis nach Südostasien hin. Es gibt noch einige Gebiete, in denen es recht oft zu Erdbeben kommt.

In Russland gehört zum Beispiel die Hälfte des Fernen Ostens zu den seismisch gefährdeten Gebieten. Das bestehende Netz der Erdbebenwarten ermöglicht es, die Lage des künftigen Epizentrums und die Tiefe praktisch fehlerfrei zu orten sowie die Stoßenergie zu prognostizieren. Anders steht es um den Zeitpunkt.

Es gibt viele Methoden, aufgrund der einen oder anderen Vorzeichen eines nahenden Bebens die ersten Erdstöße vorherzusagen. Am wenigsten umstritten ist eine langfristige, für mehrere Jahre, mitunter mehrere Monate geltende Prognose. So besteht laut Berechnungen der Wissenschaftler eine Wahrscheinlichkeit von 99,7 Prozent, dass in den nächsten 30 Jahren ein Erdbeben der Stärke 6,7 geschehen und die Westküste der USA zerstören wird. Besonders stark wird es Kalifornien treffen.

Eine mittelfristige Prognose ist von großem praktischen Wert. Doch die Erfolge bei der Erforschung von mittelfristigen Vorzeichen sind gegenwärtig noch recht bescheiden. Was eine kurzfristige Prognose angeht, so sei hier zur Darstellung der schwierigen Aufgabe an die berühmte Prognose der chinesischen Seismologen erinnert: an das 1975 wenige Stunden zuvor vorhergesagte Erdbeben der Stärke neun nahe der Stadt Haicheng.

Um jene Zeit stellte China, auf die Erfahrungen der UdSSR gestützt, bereits seit zwei Jahrzehnten umfassende prognostische Forschungen an. Es wurden das Zentrale Seismologische Büro und Zentren in den Provinzen geschaffen, bei denen regelmäßig Nachrichten über verschiedenartige Anomalien in der Natur eingingen. Nach der Maßgabe, wie die chinesischen Wissenschaftler Erfahrungen sammelten, konnten sie mehrmals recht erfolgreich den Ort und den ungefähren Zeitpunkt eines Erdbebens voraussagen. Eine Folge der geleisteten Arbeit war denn auch die einzigartige Prognose von Haicheng.

Doch der allgemeine Jubel war verfrüht. Ein Jahr später ereignete sich 150 Kilometer von Peking entfernt ein nicht vorhergesagtes Erdbeben der Stärke sieben, das mehr als 400 000 Todesopfer forderte. Der Optimismus der 50er und 60er Jahre bezüglich der Möglichkeiten, Erdbeben zu prognostizieren, wurde in den 90er Jahren von Pessimismus abgelöst. Im Grunde ist das Problem der Prognose auch heute nicht über die wissenschaftliche Suche hinausgegangen. Ein Fortschritt hat sich erst in den letzten Jahrzehnten angedeutet.

Es hat sich herausgestellt, dass sich der Zeitpunkt eines Erdbebens aus dem Weltraum bedeutend leichter voraussagen lässt als von Erde aus.

Als der wichtigste Vorteil der Prognose per Beobachtungssatellit gilt die Möglichkeit, alle zum gegebenen Zeitpunkt seismisch aktivsten Zonen festzustellen sowie die Vorzeichen eines Erdbebens ein bis fünf Tage vor dem ersten Stoß zu entdecken. Der Prognose, die russische Wissenschaftler vorgeschlagen haben und entwickeln, liegt die gegenseitige Umkehrbarkeit des Magnetfeldes der Erde zugrunde. In der Ionosphäre der Erde werden während der geomagnetischen Stürme, die durch Prozesse auf der Sonne hervorgerufen werden, elektrische Ströme erzeugt, dermaßen intensiv, dass sie in der Erdkruste ebensolche Ströme induzieren. Aber es kommt auch zu einem umgekehrten Vorgang: In Gebieten bevorstehender starker Erdbeben entstehen intensive elektrische Felder, die spezifische Ströme in der Ionosphäre auslösen.

Die ersten Nachrichten über die Entstehung anomaler Erscheinungen in der Ionosphäre, die mehrere Tage vor starken Erdbeben zu beobachten sind, stammen noch aus den 60er Jahren. Sie wurden jedoch nicht ernst genommen und ungefähr ebenso wie Hand-, Sternenlesen oder UFO-Geschichten behandelt. Zu einem Durchbruch kam es 1979, als die Sowjetunion den Satelliten Interkosmos-19 starten ließ. Er registrierte in der Ionosphäre anomale Geräusche, die, wie sich später herausstellte, am intensivsten über dem Epizentrum eines künftigen Erdbebens waren. Der Effekt wurde als eine Entdeckung der russischen Wissenschaftler registriert und fand im Weiteren auf mehreren anderen Satelliten seine Bestätigung.

Wie sich erwies, treten die Vorzeichen intensiver Erdbeben ungefähr fünf Tage vor dem Hauptstoß ein, sie haben charakteristische Eigenschaften, dank denen sie sich von den anderen in der Ionosphäre unterscheiden lassen. Ihre Feststellung ist jedoch kompliziert, dazu bedarf es einer ständigen Satellitenbeobachtung des Gebiets, in dem ein Erdbeben erwartet wird, und einer ununterbrochenen Bestimmung des Hintergrundrauschens. Mit seiner Messung kann der Zeitpunkt des Beginns eines Bebens angegeben werden.

Die Verbindung zwischen Erdbeben und dem Zustand der Ionosphäre wird heute in verschiedenen Ländern erforscht, in Russland jedoch leider nicht so aktiv, wie es wünschenswert wäre. Die Forschungen waren einst unter anderem an Bord der Raumstation MIR unternommen worden, aber nur binnen eines Jahres, obwohl die Ergebnisse relevant waren. 2001 wurde das System "Vulkan" entwickelt und ins Föderale Weltraumprogramm für 2001 bis 2005 aufgenommen. Das System sollte für Vorhersagen und Monitoring von Natur- und Umweltkatastrophen dienen und sich aus zwei Gruppierungen - kleinen Raumflugapparaten in niedrigen und in hohen Erdumlaufbahnen - zusammensetzen.

Als Element des Systems wurde im Dezember 2001 der Forschungssatellit COMPASS (Complex Orbital Magneto-Plasma Autonomous Small Satellite) in eine Erdumlaufbahn gebracht. Die wissenschaftlichen Geräte des Satelliten waren an Instituten von Russland, Ungarn, Griechenland, Polen und der Ukraine entwickelt worden. Ziel des Starts war die Einschätzung der Beobachtungsmöglichkeiten, bei einem Raumflug Erdbebenvorzeichen festzustellen und die statistische Bewahrheitung von Prognosen zu prüfen. Leider verhinderte der Ausfall von Satellitengeräts den Abschluss dieses interessanten Experiments.

Von 2002 bis 2003 gingen die Forschungen unter Einsatz des Raumapparats Meteor-3M weiter. Im Endergebnis bewahrheitete sich die Prognose aufgrund von Satellitendaten bei 44 der von den seismologischen Stationen auf der Erde registrierten 47 Beben. Um die Statistiken weiter mit Daten zu füttern, wurde 2006 der Satellit COMPASS-2 gestartet. Trotz einiger Funktionsstörungen lieferte auch er wertvolle Informationen. Außerdem werden die Mittel und Methoden, die auf den Satelliten des "Vulkan"-Systems zur Anwendung kommen sollen, schon seit langem an Bord der Internationalen Raumstation ISS im Rahmen des Programms "Uragan" ausgearbeitet. Übrigens hat sich die ISS infolge ihrer niedrigen Umlaufbahn als ein sehr passendes Instrument für solche Forschungen erwiesen.

Da laut Prognosen der US-Westküste eine Gefahr droht, ist höchste Zeit, neue Raumapparate für Erdbebenwarnungen zu entwickeln.

Unser Autor Juri Saizew ist Experte am Institut für Weltraumforschungen der Akademie der Wissenschaften Russlands.

Die Meinung des Verfassers muss nicht mit der von RIA Novosti übereinstimmen.

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